
Zwischen Wollen und Können
Der Optimismus, mit dem die Rumänen auf die Europäische Union blicken, spiegelt sich auch in ihrer Perspektive gegenüber dem Euro wider. Die jüngste Eurobarometer-Umfrage der Europäischen Kommission zu diesem Thema, die im Mai veröffentlicht wurde, bestätigt die positiven Meinungen, zeigt aber auch einige Tendenzen auf, die zu bedenken geben sollten.
Offensichtlich wollen die Bürger die Einführung der gemeinsamen Währung: 69% haben das ausgesagt, fünf Prozentpunkte mehr als bei der ähnlichen Umfrage von 2017 und 18 Prozentpunkte mehr als der europäische Durchschnitt. 54% der Befragten in Rumänien sagten, dass die Einführung des Euro positive Folgen für ihr Land haben würde, verglichen mit nur 46% in Europa. Sie sind auch bereit, die Nachteile zu tragen – fast die Hälfte der Befragten gab zu, dass das Land seine identitäts- und wirtschaftspolitischen Hebel verlieren wird.
Das Problem ist, dass sich diese Mehrheiten in Unwissenheit zu bilden scheinen: nur 48% der Befragten gaben an, über den Euro informiert zu sein, und 52% gaben an, sie seien nicht informiert.
84% sagen, dass sie persönlich die Einführung der Währung verkraften können, obwohl mehr als sieben von zehn Menschen von der Aussicht auf missbräuchliche Preisfestlegungen während der Umstellung auf den Euro besorgt sind.
Nicht nur die Bürger haben ihren Willen zum Ausdruck gebracht – die Hauptregierungspartei PSD legte auf einem außerordentlichen Kongress im März den Termin für den Beitritt zum Euroraum auf 2024 fest. Sie will den Übergang zur Währungsunion zu einem neuen nationalen Politikprojekt machen: „Wir müssen mit Mut in die Zukunft schauen und verstehen, dass es ein verpflichtender Schritt und die einzige Chance für Rumänien ist, um am Tisch der Reichen in Europa sitzen zu können. Es ist ein Projekt der nationalen Solidarität. Nach dem Beitritt zur NATO und zur EU ist dies der nächste natürliche Schritt, den wir gehen müssen“, sagte Liviu Dragnea, Chef der PSD und der Abgeordnetenkammer zum Anlass.
Dass der Beitritt zur Eurozone keine Wahl darstellt, sondern eine Verpflichtung Rumäniens, bestätigt auch der Chef der Zentralbank in Bukarest, Mugur Is?rescu. Bei einem Forum über die Sicherheit auf dem Balkan und das Schwarze Meer, sagte er jedoch, dass der eigentliche Schritt nur dann getan werden sollte, wenn Rumänien wirklich vorbereitet ist, da es heute ein Land mit großen Diskrepanzen ist.
Den eigentlichen Kalender und den Plan zur Umstellung auf die gemeinsame Währung soll bis Herbst eine nationale Kommission vorlegen, die von der Regierungschefin und dem Präsidenten der rumänischen Akademie geleitet wird und in der Vertreter öffentlicher Institutionen mit Aufgaben zur Vorbereitung des Beitritts zur Eurozone und zur Durchführung von Strukturreformen, der Präsidentialverwaltung, von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, der Nationalbank, der Finanzaufsicht und der Zivilgesellschaft sitzen.
Doch vom Wollen und Können trennt ein langer Weg. Im Mai veröffentlichte die Europäische Zentralbank den Konvergenzbericht wo sie prüft, inwieweit die Kriterien für den Beitritt zur Eurozone erfüllt wurden. Nach einer sorgfältigen Lektüre des Dokuments lautet das Fazit, dass im Vergleich zum vorherigen Bericht von 2016 die Situation verschlechtert hat und dass einige Indikatoren sich in nächster Zukunft noch negativer entwickeln könnten:
– Aus der Perspektive des Rechtsrahmens äußert der Bericht der EZB Bedenken an der tatsächlichen Unabhängigkeit der rumänischen Notenbank. Im einschlägigen Gesetz ist zum Beispiel vorgesehen, dass der Finanzminister oder sein Staatssekretär an den Vorstandssitzungen der Notenbank teilnehmen kann – auch wenn diese Politiker kein Stimmrecht haben, bewertet die EZB die reine Teilnahme an den Sitzungen schon als Möglichkeit der Einflussnahme. Auch sei der Staat berechtigt, 80% der Einnahmen der rumänischen Zentralbank einzubehalten, was dazu führen könnte, dass sie ihren Pflichten nicht nachzukommen vermag. – Im März 2018 betrug der Zwölfmonatsdurchschnitt der Inflationsrate (HVPI) in Rumänien 1,9 % und entsprach somit dem Referenzwert für das Preisstabilitätskriterium von 1,9 %. In den zurückliegenden zehn Jahren schwankte die Inflationsrate innerhalb eines relativ breiten Bandes von -1,7 % bis 8 %; mit 3,4 % war der Durchschnitt dieses Zeitraums erhöht. Laut Bericht bestünden für die Zukunft «ernsthafte Bedenken hinsichtlich der auf längere Sicht zu erwartenden Nachhaltigkeit der Inflationskonvergenz in Rumänien».
– Das gesamtstaatliche Defizit und der Schuldenstand Rumäniens entsprachen 2017 laut Konvergenzbericht den Maastricht-Kriterien. Dem Papier zufolge unterliege Rumänien jedoch seit 2013 dem präventiven Teil des Stabilitäts- und Wachstumspakts und ist seit Juni 2017 Gegenstand des darin vorgesehenen Verfahrens im Falle einer erheblichen Abweichung. Der Frühjahrsprognose 2018 der Europäischen Kommission zufolge verfehlt Rumänien seit 2016 sein mittelfristiges Haushaltsziel; auch 2018 und 2019 besteht das Risiko einer erheblichen Abweichung von den Vorgaben der präventiven Komponente. Überdies wird erwartet, dass aufgrund expansiver finanzpolitischer Maßnahmen das Defizit 2018 den Referenzwert von 3 % des BIP übersteigen und sich die Schuldenquote erhöhen wird.
Der Debt Sustainability Monitor 2017 der Kommission weist für die mittlere Frist auf hohe Tragfähigkeitsrisiken hin, die sich größtenteils aus der Verschlechterung des prognostizierten strukturellen Primärsaldos ergeben. Längerfristig stellt sich der DSM auf mittlere Tragfähigkeitsrisiken ein, die in erster Linie der ungünstigen anfänglichen Haushaltsposition und in geringerem Maße auch den Kostensteigerungen in den Bereichen Gesundheit und Pflege zuzuschreiben sind, so der Konvergenzbericht.
– Der rumänische Leu nahm im zweijährigen Beobachtungszeitraum vom 4. Mai 2016 bis zum 3. Mai 2018 nicht am Wechslkursmechanismus teil (WKM II – dem sogenannte Vorzimmer des Euro), sondern wurde zu flexiblen Wechselkursen mit einem kontrollierten Floating gehandelt. Der Wechselkurs des rumänischen Leu in Relation zum Euro wies im Referenzzeitraum im Schnitt eine relativ hohe Volatilität auf. Am 3. Mai 2018 lag er bei 4,6658 Lei je Euro und damit 3,7 % unter seinem Durchschnittswert vom Mai 2016. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Saldo der Leistungsbilanz und der Vermögensübertragungen in Rumänien erheblich verbessert, während die Nettoverbindlichkeiten des Landes gegenüber dem Ausland zwar gesunken, jedoch noch immer hoch sind.
– Im Referenzzeitraum von April 2017 bis März 2018 lagen die langfristigen Zinsen in Rumänien bei durchschnittlich 4,1 % und damit oberhalb des Referenzwerts für das Zinskriterium von 3,2 %. Die Langfristzinsen sind seit dem Jahr 2009 gesunken, und der Zwölfmonatsdurchschnitt ist von knapp 10 %auf rund 4 % zurückgegangen.
Der Konvergenzbericht vom Mai 2018 gibt Rumänien auch einige Empfehlungen auf den Weg: «Um ein der nachhaltigen Konvergenz förderliches Umfeld zu schaffen, bedarf es einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik und weitreichender Strukturreformen. Was makroökonomische Ungleichgewichte anbelangt, so wählte die Europäische Kommission in ihrem Warnmechanismus- Bericht 2018 das Land nicht für eine eingehende Überprüfung aus. Dennoch gibt es erheblichen Spielraum für und zugleich dringenden Bedarf an Maßnahmen zur Verbesserung des institutionellen Umfelds und der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, zur Förderung von Investitionen und Wettbewerb am Gütermarkt, zur Verringerung der deutlichen Diskrepanz zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage am Arbeitsmarkt wie auch des beträchtlichen Fachkräftemangels sowie zur Steigerung der Qualität und Effizienz in der öffentlichen Verwaltung und im Justizwesen. Des Weiteren sollten deutliche Anstrengungen unternommen werden, um die unbefriedigende Absorption von Mitteln aus dem EU-Haushalt in Rumänien zu verbessern. Um das Vertrauen in das Finanzsystem noch mehr zu stärken, sollten die nationalen zuständigen Behörden ihre Aufsichtspraxis weiter verbessern, indem sie unter anderem den geltenden Empfehlungen der zuständigen internationalen und europäischen Einrichtungen nachkommen und mit den anderen nationalen Aufsichtsbehörden der EU- Mitgliedstaaten innerhalb der Aufsichtskollegien eng zusammenarbeiten schlussfolgert der Bericht.
In den Monaten, die seit dem Bericht vergangen sind, blieben mehrere von der Europäischen Zentralbank angesprochenen Bereiche problematisch: So bricht die Inflation alle Rekorde, sie lag im Mai bei 5,4%, nachdem sie im April bei 5,2% gemessen wurde. Und der Rat der Europäischen Union hat im Juni einen Beschluss gefasst, in dem er erneut feststellt, dass Rumänien keine wirksamen Maßnahmen ergriffen hat, um eine erhebliche Haushaltsabweichung zu korrigieren, und drängt auf Sofortmaßnahmen. Dies ist die dritte Empfehlung des Rates für Rumänien im Juni 2017, und der Rat empfiehlt Rumänien, dafür zu sorgen, dass ein nominaler Anstieg der öffentlichen Primärausgaben in diesem Jahr 3,3 Prozent und im nächsten Jahr 5,1 Prozent nicht übersteigen wird.
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