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Österreich 3.0?

Nicht einmal Österreich kann es glauben! Kurz, 31 Jahre alt, amtierender Außenminister, wird kurzerhand zum Bundeskanzler? Der 14. seit April 1945? Die „Liste Sebastian Kurz – die neue ÖVP“ gewann mit 31,47 % (+7,48% in Vergleich zu 2013) die vorgezogenen Parlamentswahlen vom 15.10.2017. Wahlbeteiligung: 80%. Christian Kern, 51 Jahre alt und einer der kurzlebigsten österreichischen Bundeskanzler, wird nicht einmal mehr den ehemaligen Bundeskanzler Gusenbauer, einen anderen Sozialdemokraten (SPÖ), ausgleichen können, der sich nur 691 Tage „an der Macht” hielt. Gusenbauer hatte ihm Tal Silberstein vorgestellt. Der Skandal, der mit der Festnahme Silbersteins losgetreten wurde, sollte für die Wahlverluste der Roten mitverantwortlich sein.

Die Wahlen

FPÖ (die freiheitliche Partei), angeführt von HC Strache (geb. 1969) verlor die Wahlen in Wien und in den großen Städten und klassifizierte sich auf Platz 3, knapp hinter der zweitplatzierten SPÖ. Jörg Haiders (1950-2008) Rekordplatzierung auf dem zweiten Platz bei den Wahlen 1999 konnte nicht übertroffen werden!

Die große Koalition

Die Sozialdemokraten verloren den ersten Platz zugunsten der ÖVP, an deren Seite sie immer wieder die politische Spitze Österreichs gebildet hatten. Die große linksrechte Koalition – oder andersrum – war ab 1945, zur Zeit der Zweiten Republik, 44 Jahre lang in der Regierung. Sie verzeichnete zwei langlebige Bundeskanzler: den Sozialdemokraten Bruno Kreisky, auch „Sonnenkönig“ genannt, mit 4781 Tagen im Amt und Julius Raab, verantwortlich für die Unabhängigkeit Österreichs als Staat, da er am 15. April 1955 das „Moskauer Memorandum” unterzeichnet hatte. Dabei handelte es sich um jene politische Erklärung, durch die Österreich der UdSSR „immerwährende Neutralität” versprach. Raab und die ÖVP leiteten das Land zwischen 1952-1961. Das Neutralitätsversprechen wird bis heute eingehalten.

Das universell anpassbare Passpartout

Der Zugang zu Ressourcen und die uneingeschränkte Nutzung der politischen Hebel werden einem jeden österreichischen Staatsbürger verfassungsrechtlich garantiert. Die soziale Konkurrenz ist nicht einfach. Wer in Österreich – nicht nur beruflich – reüssieren will, kann sich dem verpflichtenden Kammernsystem, der Zusammenarbeit mit diversen Innungen, der Zugehörigkeit zu Vereinen, Gewerkschaften, Dachverbänden, Parteien und diversen Klubs und Logen schlecht entziehen. Fast hätte ich’s vergessen: die Katholische Kirche ist auch nicht zu vermeiden. Ist dieser, für die österreichische Sozialpartnerschaft spezifische Aggregatzustand ein universell anpassbares Passepartout, das unendlich notwendig ist, um die Stabilität des Staates zu gewährleisten? Lohnt es sich überhaupt, eine Diskussion darüber anzufangen? „Man muss sich arrangieren”, so würde sich der eingefleischte Österreicher über diese Situation vom Typus eines sogenannten „staatlichen Korporatismus” äußern. Der Status quo der sozialen Aufteilung, ein mit republikanischem Egalitarismus perfektioniertes Erbe aus der Vergangenheit Österreichs als Monarchie, wurde fast fünf Jahrzehnte lang von der großen Koalition aufrecht erhalten.

Das verfassungsrechtliche Korsett

Die große Koalition überholte sich selbst, indem sie allerlei Gesetze auf verfassungsrechtliche Ebene stellte. Und nein, es handelt sich dabei nicht um die nationalen Sicherheitsgesetze. Die Koalition verbarrikadierte sich selbst im Parlament und verhinderte von dort aus mit jenen 67%, die bei einer Abstimmung notwendig sind, um die jeweiligen Verfassungsgesetze zu ändern, etliche Strukturreformen. Ein Prozentsatz, der fast unmöglich zu erreichen war, außer man konnte mit der Unterstützung dieser Koalition rechnen. Dies bedingte eine „Kultur der politischen Proportionalität“, bestimmt durch die Farbe der eigenen Parteibücher. Die große Koalition, so der Unternehmer Hansjörg Tengg für die Tageszeitung DIE PRESSE, sicherte sich über Jahrzehnte hinweg die Vorherrschaft, was zu absurden zusätzlichen Kosten führte, als sie sich nach dem allmählichen Verlust der öffentlichen Unterstützung gezwungen sah, die „Zugeständnisse“ der grünen und, in geringerem Maße, blauen (die politische Farbe der FPÖ) Optionen „erkaufen“ musste.

Die Republik 3.0

Mehr denn je bestünde nun die Chance auf eine Veränderung, ähnlich einer… „Entfesselung“, wobei Tengg bei diesem Bild vermutlich an die Ketten dachte, die zwar gebrochen sind, jedoch (immer noch) an den scharfen Klauen des österreichischen Wappenadlers hängen. Wenn es der neuen Regierungskoalition, die eventuell zwischen der politischen Bewegung von Sebastian Kurz und HC Straches Partei entstehen könnte, gelänge, die zehn Abgeordneten der NEOS-Partei, auch nur punktuell, an sich heran zu ziehen, könnte somit der Geschichte der Zweiten Republik ein Ende gesetzt werden. Die Erfolgsgeschichte der neuen Koalition würde von vornherein die Abschaffung des Stillstands durch eine „freie Umgestaltung der Gesellschaft” (Tengg) bedeuten, die durch eine Mehrheit von mehr als 67% der Stimmen im Parlament verabschiedet werden würde! Die kleine liberale NEOSPartei unter der Leitung von Matthias Strolz (geb. 1973) rangierte bei den diesjährigen Parlamentswahlen an verdienter vierter Stelle. Die Folge könnte eine über das Parlament initiierte, tiefgreifende Veränderung Österreichs sein! Das heißt aber nicht, dass der Wähler sie unbedingt als solche verstehen würde. Der Widerstand gegen Veränderungen wird so manchem noch Kopfschmerzen bereiten. Das Kammernsystem wird sich mit dem Verlust der verpflichtenden Mitgliedsbeiträge nicht leicht abfinden. Der Bauernbund, die einflussreiche konservative Interessensvertretung der österreichischen Bauern, der Wirtschaftsbund, wirtschaftliches Rückgrad der ÖVP, die AK (Kammer für Arbeiter und Angestellte) als Verbindungsglied zur SPÖ, sind mehr als nur zurückhaltend gegenüber der möglichen Veränderung des Status quo. So auch die Wirtschaftskammer Österreichs!

Überfremdung

Der Neid ist allgegenwärtig. Vor allem gegenüber Fremden. Die Beamtenmentalität, ein Erbe aus dem kaiserlich-königlichen Zeitalter, leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, dass der Neid, auch zu Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung, der gemeinsame Nenner des österreichischen Alltags bleibt. Die ängstlichen Wähler, manche darunter etwas narzisstisch veranlagt, Gulasch-Esser und anspruchsvolle Veltliner (nicht nur Bier!) Trinker (ein trockener, zuweilen etwas saurer österreichischer Wein), begegnen jeder Ideologie mit Skepsis. Obwohl sie sich durch eine, besonders intellektuelle, manchmal anthologische Bequemlichkeit auszeichnen, ist ihre Fluktuation an den Urnen ein Gewinn der Demokratie. Viele wünschten sich diesmal: die drastische Verringerung der Anzahl illegaler Einwanderer, eine Abschwächung der übermäßigen Überfremdung, die nach 2015 zu spüren war, ein Ende des Missbrauchs von Sozialleistungen, die Senkung der Lohnsteuer, eine Erhöhung der Sicherheit der Bürger angesichts der terroristischen Bedrohung usw. Die freitreibende Sozialdemokratie gewann diese Wahlen nur mehr in Wien und verleibte sich dort die Stimmen ihrer grünen lokalen Verbündeten ein. Die Genossen scheinen sich nichts anderes als eine staatliche Wirtschaftslenkung vorstellen zu können, die es sich zum Ziel gemacht hat, über neue Steuern, immer wieder frisches Geld von der Bevölkerung einzutreiben! Und das in einem Land der Klein- und Mittelbetriebe ohne viel nennenenswerte Großindustrie.

Die freiheitliche Partei

Die FPÖ positioniert sich seit langem gegen den Staatspaternalismus und den normierenden Leviathan, der das Leben des sozialen Körpers mit Gesetzen überfrachtet. Sie ist für mehr Subsidiarität und direkter Demokratie nach dem Schweizer Modell. Diese Partei ist liberal. Aber sie steht rechts. Und dies macht eine Regierungsbildung nicht einfacher. Ein Sammelbecken an Nostalgikern, Provokateuren und Extremisten, die für politische Korrektheit wenig übrig haben, ist noch vorhanden.

Der NeofEschist

Könnte es sein, dass der zukünftige Kanzler die Auslösung einer dritten Republik sich vornimmt? Das Echo wäre gewaltig und würde um die Welt gehen. Vor Kurzem schrieben die New York Times: „Austria’s Nazi past raises its head“! Sie werden viel Tinte verbrauchen, um zu erklären, ob Kurz nicht vielleicht der eigentliche Nachfolger von Frau Merkel am Ruder der Europäischen Volkspartei sein wird. Wien würde dadurch ein weiteres Stück ihrer geographischen Periphärie im politischen Imaginär verlieren. Die Wiener Wochenzeitung FALTER betitelte ein Portrait des Kanzleranwärters als „Der Neofeschist“. Es handelt sich hierbei um ein fragwürdiges Wortspiel mit dem Etikett eines „Neofaschisten“ und dem Adjektiv „fesch”. Der Autor Armin Thurnher ließ auf das Titelblatt drucken: „Fesch und siegreich – Sebastian Kurz hat die Bewegung (die Partei, A.T.), die Kraft, den Willen.“

Gott schütze Österreich

Kern ist im Begriff zu gehen. Er wird den Regierungssitz am Ballhausplatz Nr. 2 in Wien verlassen. Für kurze Zeit, im Jahr 1948, wurde dieser Ort auch „Revolutionsplatz“ genannt. 86 Jahre später wurde Bundeskanzler Dollfuß an derselben Adresse ermordet. Kurt Schuschnigg, jener Kanzler, der am 11. März 1938 vor Adolf Hitler kapitulierte, ohne davor einen einzigen Schuss abgefeuert zu haben, flehte im Radio vom Ballhausplatz aus: „Gott schütze Österreich!“. Es war das Ende der ersten österreichischen Republik.

„fingers crossed… behind the back“

Nun stellen die Österreicher mit Jung und Alt , darunter auch annähernd 90.000 Wähler rumänischer Abstammung – die Familienbeihilfe soll sich ändern, während die Einladung zum Exodus der Kinder nach Österreich bestehen bleibt – ausschließlich Erwartungen an diesen Kurz, den manche Medien liebevoll „Basti“ nennen. Er mag zwar fesch, mutig, ehrgeizig und in Eile sein – mehr noch als Emmanuel Macron –, die Skepsis der Öffentlichkeit bleibt ihm erhalten! Er wird schnell handeln müssen. Anfang nächsten Jahres stehen Landtagswahlen in Kärnten, Niederösterreich und Tirol an. Traditionelle Hochburgen der Volkspartei und der FPÖ. Dort schlägt dann die Stunde der Wahrheit. Der österreichische Schriftsteller Peter Truschner schrieb einmal im STANDARD über den „kleinen Orgasmus“, den nicht wenige Österreicher verspüren, während sie jenes Glück verdauen, das ihnen der Misserfolg der anderen beschert!

Kurz wurde vom Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, ehemaliger Parteichef der Grünen, mit der Regierungsbildung beauftragt. Übrigens, die österreichischen Grünen haben bei der Wahl im Jahr 2017 die 4%-Hürde nicht mehr geschafft und sind aus dem Parlament geflogen.

Der Kuss

Basti wurde auf dem roten Teppich in Brüssel begrüßt und „väterlich“ vom Präsidenten der Europäischen Kommission geküsst. Von der ganzen Szene etwas peinlich berührt, hielt ihm Basti nicht auch noch die andere Wange hin, sondern distanzierte sich sogar ein wenig und betonte, dass er von den fünf von Juncker gezeichneten Szenarien für Europa ein „Europa der Subsidiarität“ für „ideal“ hält.

Dr. Alex Todericiu, geb. 1967 in Bukarest, österreichischer Staatsbürger, lebt in Wien. Arbeitet als Politologe, eingetragener Mediator, Unternehmens- und Bildungsfachberater. 2015: Initiator des www.export-club.ro e.V., Promotor der Anerkennung der aus Rumänien stammenden Volksgruppe als gesetzlich zugelassene Minderheit in Österreich. Gründer des Appells der Rumänen in Österreich (2016). Seit 1991, Mitglied des Wiener Verbandes der Auslandspresse.

von Dr. Alex Todericiu

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