
REDcert²: Ein strategischer Hebel in der Chemieindustrie – Fallstudie: BASF
Die Chemieindustrie befindet sich an einem Wendepunkt. Die weltweite Nachfrage nach Kunststoffen und Hochleistungsmaterialien steigt weiter – getrieben von Sektoren wie Automobil, Bauwesen, Konsumgüter und industrielle Anwendungen. Gleichzeitig steht die Branche unter beispiellosem Druck, ihre Umweltbilanz nachzuweisen und zu verbessern. Der Europäische Green Deal, der Aktionsplan Kreislaufwirtschaft und verschärfte Klimaregulierungen sind längst keine politischen Zukunftsvisionen mehr – sie gestalten bereits heute, wie Unternehmen Rohstoffe beschaffen, Lieferketten organisieren und Nachhaltigkeit berichten.
Für Entscheider bedeutet das eine doppelte Herausforderung: globale Wettbewerbsfähigkeit sichern und gleichzeitig messbaren Fortschritt in puncto Nachhaltigkeit vorlegen. Allgemeine Bekenntnisse reichen nicht mehr. Investoren verlangen verifizierbare Kennzahlen. Geschäftskunden – insbesondere im B2B-Bereich – fordern zertifizierte Materialien, die zu ihren eigenen Nachhaltigkeitszielen passen. Und Regulierungsbehörden machen deutlich: fehlende Nachweise sind nicht nur ein Reputationsrisiko, sondern können den Marktzugang direkt gefährden.
Vor diesem Hintergrund etabliert sich REDcert² als Zertifizierungssystem, das der Chemieindustrie eine strukturierte und überprüfbare Möglichkeit bietet, nachhaltige Materialströme nachzuweisen. Mit Hilfe eines Massenbilanz-Ansatzes, bei dem erneuerbare und recycelte Rohstoffe am Beginn des Produktionsprozesses eingebracht und den Endprodukten rechnerisch zugeordnet werden, entsteht ein praktikabler Weg, fossile Abhängigkeiten zu reduzieren, ohne bestehende Infrastrukturen umbauen zu müssen.
Die jüngste Ankündigung der BASF-Division Performance Materials, dass inzwischen alle zehn europäischen Produktionsstandorte nach REDcert² zertifiziert sindPress Release_REDcert2, ist daher mehr als eine technische Leistung. Sie zeigt, wie große Industrieakteure Nachhaltigkeit Schritt für Schritt in ihr operatives Geschäft integrieren.
Für andere Unternehmen ergibt sich daraus eine klare Botschaft: REDcert² entwickelt sich rasch zu einem Marktdifferenzierer, der Einkaufsentscheidungen in zahlreichen Branchen beeinflusst. Wer keine zertifizierten Lösungen anbieten kann, läuft Gefahr, aus wertvollen Lieferketten ausgeschlossen zu werden.
Was ist REDcert²?
REDcert² ist ein Zertifizierungssystem, das überprüfbar macht, ob chemische Unternehmen nachhaltige Rohstoffe in ihre Produktion integrieren. Es basiert auf dem Massenbilanz-Prinzip: erneuerbare oder recycelte Rohstoffe werden in den Produktionsprozess eingespeist und anteilig den Endprodukten zugerechnet. Damit lassen sich nachhaltige Rohstoffe in bestehende Großanlagen einbinden, ohne separate „grüne“ Produktionslinien errichten zu müssen.
Entwickelt wurde REDcert² unter dem Dach von REDcert GmbH, das ursprünglich gegründet wurde, um die europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) umzusetzen. Während die erste Phase vor allem Biokraftstoffe und Biomasse für den Energiesektor abdeckte, wurde REDcert² 2015 speziell für die Chemie- und Kunststoffindustrie eingeführt.
Die Bedeutung ist enorm: Die Chemieindustrie verursacht rund 7 % der weltweiten Treibhausgasemissionen und beansprucht etwa 14 % der globalen Ölnachfrage – vor allem als Rohstoff für Kunststoffe. In Europa beträgt die jährliche Kunststoffproduktion über 55 Millionen Tonnen. Die Notwendigkeit, Wachstum und fossile Abhängigkeit zu entkoppeln, ist offenkundig.
Praxisbeispiele zeigen die Dynamik: BASF bietet REDcert²-zertifizierte Produkte an allen zehn europäischen Standorten der Performance-Materials-Division anPress Release_REDcert2, Covestro setzt REDcert² für massenbilanzierte Produkte in mehreren Geschäftsfeldern ein, und LyondellBasell und weitere große Produzenten folgen ähnlichen Wegen – Zertifizierung entwickelt sich zum Industriestandard.
Für Abnehmer – von Automobilherstellern über Konsumgüterkonzerne bis hin zur Bauwirtschaft – bedeutet das: Nur zertifizierte Materialien sichern, dass eigene Nachhaltigkeitsversprechen verlässlich erfüllt werden können.
Wie REDcert² entstanden ist
Die Wurzeln von REDcert² liegen in der europäischen Energiepolitik. Mit der RED I Richtlinie verpflichtete die EU 2009 die Mitgliedsstaaten, bis 2020 mindestens 10 % der Kraftstoffe im Verkehrssektor aus erneuerbaren Quellen zu decken. Um dies zu kontrollieren, wurde 2010 in Deutschland die REDcert GmbH gegründet, eine anerkannte Zertifizierungsstelle.
Anfangs lag der Fokus auf landwirtschaftlichen Rohstoffen für Energiezwecke, die nachweislich Kriterien zu Landnutzung, Treibhausgasreduktion und Rückverfolgbarkeit erfüllen mussten. Bereits 2012 war REDcert ein europaweit führendes System zur Bioenergie-Zertifizierung.
Doch schnell wurde klar: Nicht nur Energie, auch Materialien geraten ins Visier. Europa produziert jährlich fast 29 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle, von denen weniger als ein Drittel recycelt wird. Gleichzeitig forderten Investoren klare Klimastrategien von Chemiekonzernen.
2015 folgte deshalb die Einführung von REDcert², zugeschnitten auf Chemie und Kunststoffe. Zwei Schwerpunkte standen im Vordergrund: Biomassenbilanz-Ansatz – Einsatz erneuerbarer Rohstoffe wie Bio-Naphtha in bestehenden Produktionsprozessen und ChemCycling® und chemisches Recycling – Zertifizierung recycelter Rohstoffe aus Kunststoffabfällen.
Damit passte sich REDcert² nahtlos an die neue politische Agenda der EU an: Kreislaufwirtschaft, höhere Recyclingquoten, weniger Einwegkunststoffe und CO₂-Bepreisung.
Heute ist REDcert² bei führenden Produzenten wie BASF, Covestro, Sabic und LyondellBasell etabliert und bildet ein Fundament für Glaubwürdigkeit und Vertrauen in einer Branche, die stark im Fokus von Politik und Öffentlichkeit steht.
BASF als Fallbeispiel

BASF liefert ein anschauliches Beispiel dafür, wie die REDcert²-Zertifizierung auf industriellem Niveau umgesetzt werden kann. Im Jahr 2025 gab das Unternehmen bekannt, dass alle zehn europäischen Produktionsstandorte der Division Performance Materials nun vollständig nach REDcert² zertifiziert sindPress Release_REDcert2. Dies ist kein isolierter Einzelschritt, sondern Teil einer langfristigen Transformationsstrategie, die Nachhaltigkeit systematisch in die Wertschöpfung integriert.
Bemerkenswert ist die Reihenfolge, in der BASF vorgegangen ist. Bereits Anfang 2025 hatte das Unternehmen seine europäischen Werke komplett auf 100 % erneuerbaren Strom umgestellt. Erst danach folgte der Fokus auf die Rohstoffe. Diese Abfolge verdeutlicht eine pragmatische Strategie: Zuerst die direkte Dekarbonisierung (Scope 2), anschließend die schrittweise Substitution fossiler Einsatzstoffe (Scope 3). Für andere Marktakteure kann dieses Vorgehen als Blaupause dienen – eine Transformation in klaren, steuerbaren Etappen statt eines disruptiven „Alles-auf-einmal“-Ansatzes.
Die Zertifizierung umfasst zentrale Produktgruppen: technische Kunststoffe, Polyurethane, thermoplastische Polyurethane (TPU) und Spezialpolymere. Diese Materialien sind Schlüsselbausteine in zahlreichen Branchen – vom Automobilbau über Elektrogeräte bis hin zu Bauwesen und Konsumgütern. Durch die Integration von nachhaltigen Rohstoffen über den Biomassenbilanz-Ansatz (z. B. Bio-Naphtha oder Biogas anstelle fossiler Rohstoffe) sowie durch ChemCycling® (chemisches Recycling von Kunststoffabfällen) bietet BASF Produkte an, die die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen reduzieren, ohne Leistungsfähigkeit oder Skalierbarkeit einzuschränken.
Für die Kunden ergeben sich daraus handfeste Vorteile. Einerseits können sie ihre eigenen Scope-3-Emissionen reduzieren, was angesichts der verschärften ESG-Berichtspflichten ein entscheidendes Kriterium ist. Andererseits können sie mit den zertifizierten Materialien ihre eigenen Nachhaltigkeitsversprechen einlösen – sei es gegenüber Investoren, Regulierungsbehörden oder Endverbrauchern. BASF liefert also nicht nur Materialien, sondern auch Nachweis und Glaubwürdigkeit, die entlang der gesamten Lieferkette wertschöpfend wirken.
Strategisch verschafft die Zertifizierung BASF eine klare Positionierung. In Branchen wie der Automobilindustrie sind nachhaltige Materialien längst ein Muss und kein optionales Feature mehr. Wer hier nicht zertifiziert liefern kann, verliert den Zugang zu Aufträgen. Mit REDcert²-zertifizierten Produkten stärkt BASF seine Rolle als bevorzugter Partner in globalen Lieferketten, in denen Nachhaltigkeit zum harten Vergabekriterium geworden ist.
Zugleich ist dieser Schritt eingebettet in die konzernweite Initiative #OurPlasticsJourney, mit der BASF Nachhaltigkeit in allen Phasen des Kunststoff-Lebenszyklus – von der Herstellung über die Nutzung bis hin zum Recycling – systematisch vorantreibt. REDcert² fungiert dabei nicht als Endpunkt, sondern als Meilenstein auf einem kontinuierlichen Transformationspfad, der technologische Innovation, regulatorische Anforderungen und Kundenbedürfnisse in einem kohärenten Rahmen zusammenführt.
Zertifizierung als Strategie
Der Aufstieg von REDcert² zeigt, wie sich Nachhaltigkeit in der globalen Wirtschaft zu einem überprüfbaren, berichtbaren und bewerteten Faktor entwickelt. Was einst ein Compliance-Tool für die Bioenergie war, ist heute ein strategischer Hebel für die Chemieindustrie.
Für Unternehmen ist die Botschaft eindeutig: Zertifizierungssysteme wie REDcert² sind nicht länger „nice to have“, sondern Markteintrittsbarrieren in Märkten, die durch ESG-Anforderungen geprägt sind.
Das Beispiel BASF belegt: Umsetzung in großem Maßstab ist möglich – und bringt klare Vorteile für Unternehmen und deren Kunden. Für die Gesellschaft liefert REDcert² Vertrauen, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz. Für die Wirtschaft ist es ein Wettbewerbspass in einer Ökonomie, in der Kapital und Marktanteile zunehmend an überprüfbare Nachhaltigkeit geknüpft sind.
Die Schlussfolgerung: REDcert² ist nicht nur ein Zertifikat – es ist ein strategisches Transformationsinstrument. Wer früh handelt, kann Compliance in einen Wettbewerbsvorteil verwandeln. Wer zögert, riskiert, vom Markt ausgeschlossen zu werden.