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Energiekonflikte

Gehen Sie heutzutage auf eine Party, wird das immer wiederkehrende Smalltalk-Thema Energie sein. Potenziell verdoppelte oder gar verdreifachte Heizkosten führen zu emotional aufgeladenen Diskussionen: Die *&$* Leute in der Regierung haben uns im Stich gelassen, als sie bei der Liberalisierung des Energiemarktes mitmachten, wie sollen wir denn die riesige Gasrechnung im Januar bezahlen?, könnte ein Mann fragen, während seine Partnerin ungläubig den Kopf schüttelt angesichts der Aussicht, jeden Wintermonat ein paar hundert Euro zu blechen. Das sind wieder diese Russen, könnte ein älterer Herr seufzen – die schicken nicht genug Gas durch die Pipelines. Ja, wird wohl ein anderer schreien, denn die Deutschen sind ja aus der Atomkraft ausgestiegen und müssen jetzt mit Moskau anbandeln! Wir aber sollten den umgekehrten Weg gehen, wird der Ehemann der Gastgeberin sicher vorschlagen: Kohle und Gas abschaffen, mehr Atomkraftwerke bauen. Seine Tochter im Teenageralter wird natürlich die Augen verdrehen: Ihr wollt also, dass unsere Generation euren Atommüll entsorgt, könnte sie stirnrunzelnd einwerfen.

Debatten wie diese ähneln perfekt dem, was derzeit in Brüssel vorgeht und kürzlich auf der COP 26-Konferenz in Glasgow auf breiterer Bühne stattfand. In ihrem Kampf gegen die globale Erwärmung kollidieren Entscheidungsträger, Wissenschaftler, Lobbyisten und Klimaaktivisten. Doch während das Gerede in der Küche wenig Wirkung zeigt, steht beim Streit auf europäischer und weltweiter Ebene – vor allem finanziell und wirtschaftlich – viel auf dem Spiel.

Nehmen wir die Reform des Gasgroßhandelsmarkts: Die von einigen EU-Ländern, allen voran Spanien und Frankreich geforderte Entkopplung der Strom- von den Gaspreisen wurde von einer Gruppe von neun anderen Ländern, darunter Deutschland, Österreich und die Niederlande, sofort abgelehnt, die lediglich kurzfristige Maßnahmen zur Unterstützung gefährdeter Verbraucher vorschlugen.

Oder die so genannte EU-Taxonomie. Die Europäische Union sagt, sie wolle Gelder in nachhaltige Projekte lenken, damit die Wirtschaft, die Unternehmen und die Gesellschaft der Mitgliedstaaten widerstandsfähiger gegen Klima- und Umweltschocks werden. Um dies zu erreichen, müssen sich die Mitglieder der Union jedoch zunächst auf eine gemeinsame Sprache und eine klare Definition des Begriffs „nachhaltig“ einigen. Die EU braucht also eine Taxonomie, also ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Geschäfte. Kurz gesagt: Fällt ein Projekt nicht unter diese Taxonomie, erhält es keine Mittel.

Im Bereich der Energie gibt es vor allem zwei Streitpunkte: Erdgas und Kernenergie. Die Frage ist, ob sie Teil der Taxonomie sein werden.

Erdgas wird weithin nur als Übergangskraftstoff angesehen, da es zwar an sich geringe CO2-Emissionen verursacht, aber die bei der Produktion und beim Transport entstehenden Nebenprodukte wie Methan noch gefährlichere Treibhausgase sind. Außerdem lassen die derzeitigen Probleme auf dem Gasmarkt (mit enormen Preissteigerungen und Versorgungsengpässen) auf eine mögliche künftige Instabilität schließen.

Der Druck, mittelfristig von Erdgas wegzukommen, könnte für einige Länder eine Katastrophe bedeuten. Rumänien beispielsweise verfügt über Offshore-Gasreserven im Schwarzen Meer, die auf etwa 200 Milliarden Kubikmeter geschätzt werden. Leider wird trotz des Drucks von Schwergewichten wie dem österreichischen Konzern OMV, der die Mehrheit am rumänischen Betreiber Petrom hält, nicht danach gebohrt, weil der rechtliche Rahmen schlecht gestaltet ist und die Behörden es nicht schaffen, ihn zu ändern. Die Zeit wird knapp, warnt OMV Petrom-CEO Christina Verchere oft in Interviews. Angesichts des steilen Anstiegs der Gaspreise hat Rumänien bereits viel an potenziellem Geschäft verloren – und wenn Erdgas als akzeptabler Brennstoff ausläuft, bevor die Bohrungen im Schwarzen Meer beginnen, wären die Verluste enorm.

Auch das Gegenteil ist der Fall: Sich an fossilen Brennstoffen bis zum Schluss zu klammern scheint auch keine Lösung zu sein. In einem kürzlich erschienenen Artikel in The Guardian wird eine Forschungsarbeit zitiert, die auf die Gefahr hindeutet, dass im Zusammenhang mit einer raschen Dekarbonisierung weit mehr Öl und Gas gefördert wird, als für die künftige Nachfrage erforderlich ist. In der in Nature Energy veröffentlichten Studie werden 11 bis 14 Billionen US-Dollar an so genannten „Stranded Assets“ geschätzt – Infrastrukturen, Immobilien und Investitionen, deren Wert so stark gesunken ist, dass sie abgeschrieben werden müssen. Aus diesem Grund meint der Hauptautor Jean-Francois Mercure von der Universität Exeter, dass die Umstellung auf saubere Energie für die Weltwirtschaft insgesamt günstig sei, aber sorgfältig gehandhabt werden müsse, um Armutsgebiete und mögliche globale Instabilität zu vermeiden. „Im schlimmsten Fall werden die Menschen weiter in fossile Brennstoffe investieren, bis plötzlich die erwartete Nachfrage ausbleibt und sie erkennen, dass ihr Eigentum wertlos ist. Dann könnte es zu einer Finanzkrise von der Größenordnung des Jahres 2008 kommen“, sagte er der britischen Zeitung.

Die Kernenergie ist eine andere Geschichte.

Staaten und Organisationen betreiben intensive Lobbyarbeit in Brüssel, um eine Entscheidung über die Aufnahme – oder Nichtaufnahme, je nach Sichtweise – dieser umstrittenen Energiequelle in das Kennzeichnungssystem für grüne Finanzierungen zu erreichen.

Doch eine solche Entscheidung ist nicht in Sicht.

Die EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen Mairead McGuinness erklärte gegenüber der Financial Times, dass sich Brüssel entgegen den Erwartungen mehr Zeit lassen werde, bevor es eine Entscheidung über den Umgang mit diesen Energiequellen trifft. McGuinness sagte, es sei „immer noch das Ziel“, die Regeln bis Ende des Jahres vorzuschlagen, aber „wer weiß schon, was für Drehungen und Wendungen es geben wird“ – und damit meinte sie die Wahlen in Frankreich und die Koalitionsgespräche in Deutschland.

Die EU ist im Moment gespalten. Auf der einen Seite glaubt eine Gruppe von 10 EU-Ländern, die von Frankreich und Polen angeführt wird, aber auch schon von anderen unterstützt wird, dass die Kernenergie Teil der Lösung für die Klimakrise und den Anstieg der Energiepreise sein muss. In einem gemeinsamen Meinungsartikel, der im Oktober von den Wirtschafts- und Energieministern Bulgariens, Kroatiens, Finnlands, Frankreichs, Polens, Rumäniens, der Slowakei, Sloweniens, Tschechiens und Ungarns unterzeichnet wurde, erklären sie, dass die Kernenergie bis Ende 2021 unbedingt in den europäischen Steuerrahmen aufgenommen werden müsse, und verweisen auf wissenschaftliche Bewertungen der EU, die die Sicherheit der Kernenergie belegen.

„Um den Klimakampf zu gewinnen, brauchen wir die Kernenergie. Sie ist für uns alle eine entscheidende und verlässliche Karte für eine kohlenstoffarme Zukunft“, argumentieren sie. Ihrer Ansicht nach sind erneuerbare Energien für den Übergang zu sauberer Energie unverzichtbar, aber „sie können nicht genug emmissionsarmen Strom produzieren, um unseren Bedarf in ausreichendem und konstantem Maße zu decken“, argumentieren sie und weisen darauf hin, dass die Kernkraft bereits die Hälfte des kohlenstoffarmen Stroms in Europa liefert.

Die Länder, die die Kernkraft befürworten, haben starke Verbündete, unter denen Ursula von der Leyen, die Vorsitzende der EU-Kommission, eine Schlüsselposition einnimmt.

Sie haben allerdings auch starke Gegner. Die größte europäische Volkswirtschaft, Deutschland, stellt sich entschlossen in den Weg. Die deutschen Sozialdemokraten, die höchstwahrscheinlich eine führende Rolle in der künftigen Regierungskoalition in Berlin spielen werden, wollen eindeutig am Ausstieg aus der Kernenergie festhalten. Die amtierende Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte in einem Interview für die Funke-Mediengruppe: „Wir wollen keine Atomenergie, wir halten sie nicht für nachhaltig und wir wollen nicht, dass die EU sie unterstützt“. Eines ihrer Argumente ist, dass der Bau von Kernkraftwerken zu teuer ist und zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Trotz einiger Gegenstimmen scheint der Kurs für Deutschland klar zu sein.

Schulze hat zum Teil Recht – aber was sie sagt, gilt eher für die traditionelle Art von Kernkraftwerken. In der Zwischenzeit könnte sich ein neuerer Reaktortyp als wegweisend erweisen. Auf dem Klimagipfel COP 26 in Glasgow im November unterzeichneten der rumänische Anbieter Nuclearelectrica und das amerikanische Unternehmen NuScale Power eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit, um die Einführung der kleinen modularen Reaktortechnologie (SMR) von NuScale voranzutreiben. Die beiden Unternehmen werden Schritte unternehmen, um eine erste NuScale-Anlage in Rumänien zu errichten. Offiziellen Angaben zufolge soll der Reaktor aus sechs Modulen zu je 77 MW bestehen und eine Gesamtleistung von 462 MW erzeugen, wobei eine sicherere, kleinere und skalierbare Version der Druckwasserreaktortechnologie zum Einsatz kommt.

Der SMR von NuScale ist der erste und einzige kleine modulare Reaktor, der von der US-Nuklearaufsichtsbehörde genehmigt wurde, so das Unternehmen aus Portland in seiner Pressemitteilung.

Das Kernkraftwerk, das mit einem Leichtwasserreaktor betrieben wird, kann Energie für die Stromerzeugung, Fernwärme, Entsalzung, Wasserstofferzeugung und andere Prozesswärmeanwendungen liefern.

Das Abkommen ist jedoch nur der jüngste Schritt in der amerikanisch-rumänischen Zusammenarbeit im Nuklearbereich: Die Amerikaner wollen Rumänien auch bei der Nachrüstung und Erweiterung des einzigen Kernkraftwerks des Landes helfen. Mit Unterstützung amerikanischer Firmen will der Betreiber Nuclearelectrica die Betriebsdauer des Reaktorblocks 1 (650 MW) auf 60 Jahre verlängern. Der NuScale-Kleinreaktor, der um 2027/2028 erwartet wird, würde eine Lücke schließen, da der Reaktorblock 1, der seit 1996 in Betrieb ist, für die Dauer der Überholung vom Netz genommen werden müsste. Block 2, der mit CANDU-6-Technologie gebaut wurde und seit 2007 in Betrieb ist, hat ebenfalls eine Leistung von 650 MW und wäre nicht in der Lage, den Leistungsverlust allein auszugleichen.

Nach einem verpatzten Deal mit dem chinesischen Staatsunternehmen CGNP entschied sich die rumänische Nuclearelectrica für eine Partnerschaft mit den Amerikanern, um die neuen Blöcke 3 und 4 zu bauen. Das Unternehmen möchte Block 3 im Jahr 2030 und Block 4 im Jahr 2031 ans Netz gehen lassen, wie es im kürzlich verabschiedeten nationalen Energieplan heißt. Insgesamt könnte die neue Anlage, die doppelt so groß ist, dann 20 Millionen Tonnen Kohlenstoffemissionen einsparen.

Der neue SMR mit 6 Modulen und die neuen Reaktoren in Cernavoda würden die Kernenergieerzeugung in Rumänien erheblich steigern, wobei der durchschnittliche Anteil am nationalen Strommix bereits heute rund 20 % beträgt.

Alex Gröblacher

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