Salesianer
Kremsmueller
CEO CLUBS-EXECUTIVE CLUB-OWNERS CLUB

Rumänien muss durch Digitalisierung und strukturelle Reformen wettbewerbsfähiger werden. Interview mit Dr. Christian von Albrichsfeld, Head of Country Continental Rumänien

Wie arbeitet man bei Continental während Pandemie?

Die Gesundheit und die Sicherheit unserer Mitarbeiter hat für uns die höchste Priorität, unabhängig von der jeweiligen Lage. Seit dem Ausbruch des Coronavirus sind wir mit verschiedenen neuen Herausforderungen konfrontiert: Von der Aufrechterhaltung unserer Lieferfähigkeit und Fortführung unserer Projekte unter diesen besonderen Sicherheitsumständen, bis hin zu der sich weltweit abzeichnenden wirtschaftlichen Krise, insbesondere dem aktuellen Einbruch der Nachfrage, die unsere Branche stark betroffen hat.

Bei Continental, wurde für die meisten Angestellten der administrativen Abteilungen und des Entwicklungszentrums, je nach Aufgabenbereich, die Option zum mobilen Arbeiten von zu Hause für eine längere Zeitspanne ausgeweitet. Zum Schutz der Mitarbeiter, nehmen wir die übliche Arbeitsweise vor Ort in unseren Standorten nur schrittweise und verantwortungvoll auf.

Solidarität ist einer der Hauptwerte unserer Unternehmenskultur. Jetzt, mehr denn je, in dem Kampf der Menschheit gegen dieses Virus, ist es uns ein Bedürfnis, die Gesellschaft aktiv zu unterstützen. Alle Standorte der Firma Continental in Rumänien, mit Unterstützung von Vitesco Technologies Rumänien, haben mehr als 60.000 Euro für diesen Zweck gespendet. Damit haben wir folgendes ermöglicht: den Kauf von zwei neuen nicht invasiven Beatmungsgeräten, vier für Pandemiefälle hergestellte Triage-Zelte, fünf Infusionspumpen, 10.000 Schutzmasken für Hausärzte, COVID-19 Tests, Verbrauchsgüter und Materialien für Gesichtsvisiere. Wir haben einem Krankenhaus sogar einen mit UV Filter ausgestatteten automatisch fahrenden Roboter (AGV) für Flurdesinfektion zur Verfügung gestellt. Zusätzlich, Dank einer Initiative der Automobilpartnerschaft Rumänien (PAR), hat unsere Firma es realisiert, drei alte nicht invasive Beatmungsgeräte zu reparieren und somit zu reaktivieren. Wir haben auch den virtuellen Unterricht in Lehreinrichtungen durch Spenden von Laptops an Schulen unterstützt.

Besonders gefreut habe ich mich auch über zahlreiche private Initiativen unserer Mitarbeiter, die sich an freiwilligen Hilfsdiensten beteiligt haben, Nichtregierungsorganisationen durch Spenden unterstützt haben und auch Gesichtsvisiere in privaten Initiativen hergestellt haben.

Man behauptet, nach dem Ende der Pandemie ergeben sich große Entwicklungschancen für Rumänien. Was ist Ihre Meinung?

Die gesamte Wirtschaft muss erst einmal lernen, mindestens ein paar Monate, bis hin ins Jahr 2021 mit der Pandemie zu leben. Die Betriebe und die Mitarbeiter in allen Wirtschaftszweigen müssen in der aktuellen Situation der Gesundheitskrise und schwankender und unsicherer Nachfrage sehr agil handeln und reagieren. Seit März ist die Nachfrage auf den internationalen Märkten stark zurückgegangen, und es wird vielleicht noch einige Monate, vielleicht ein Jahr dauern, bis sich diese erholt.

Rumänien hat in den vergangenen Jahren im Wettbewerb um Neuinvestitionen im Vergleich zu den Nachbarländern in der Region an Konkurrenzfähigkeit eingebüßt. Die Kosten sind wesentlich stärker gestiegen als die Produktivität, verursacht insbesondere durch staatliche Maßnahmen wie Erhöhung der Mindestlöhne und Entlohnung der Staatsbediensteten. In der Krise verschärft sich jetzt der Wettbewerb mit Ländern in der Region und es geht nicht mehr nur um Gewinnung neuer Investoren, sondern in einer nicht mehr wachsenden Weltwirtschaft eher um die Beibehaltung bestehender Arbeitsplätze. Die Situation auf dem lokalen Arbeitsmarkt wird weiterhin verschärft durch in ihre Heimat zurückkehrende Rumänen, die in westlichen Ländern als Folge der Krise ihre Arbeitsplätze verloren haben. Für Rumänien ist es jetzt wichtig, die richtigen Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu treffen.

Neben den üblichen wohlbekannten Maßnahmen handelt es sich aktuell auch um die Schaffung gesetzlicher Möglichkeiten, die den Unternehmen erlauben, sich an die zur Zeit sehr volatile und unvorhersehbare Marktnachfrage flexibel anzupassen. Ein sehr gutes arbeitsrechtliches Instrument für Arbeitnehmer und Unternehmen stellt das von uns mit den deutschen Wirtschaftsklubs und der AHK schon seit Monaten in die Diskussion gebrachte Kurzarbeitsmodell dar. In Phasen vorübergehender Nachfrageeinbrüche erlaubt es den Unternehmen, ihre Mitarbeiter entsprechend der aktuellen Auftragslage flexibel mit einem geringeren Arbeitspensum zu beschäftigen, sie für die tatsächlich benötigte und geleistete Arbeit zu bezahlen, wobei der Staat den Minderverdienst teilweise entschädigt. Es ergeben sich für alle Beteiligten, Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Staat Vorteile und die Lasten werden auf alle aufgeteilt: Die Arbeitgeber bezahlen für die tatsächlich geleistete Arbeit, haben somit geringere Kosten, behalten gut ausgebildete Mitarbeiter und können sich schnell an eine wieder wachsende Nachfrage anpassen, die Arbeitnehmer behalten ihren Arbeitsplatz, können weiterhin einer Beschäftigung nachgehen und bekommen die finanziellen Einbußen zum Teil ersetzt. Dieses System hat sich 2009 in Deutschland als äußerst effektiv erwiesen und wesentlich zur schnellen wirtschaftlichen Erholung beigetragen. Es wird derzeit in anderen EU-Ländern eingeführt und ist eine strategische Ausrichtung auf Unionsebene durch das SURE-Programm, ein Programm zum Schutz von Arbeitsplätzen und Angestellten, die von der COVID-19-Pandemie betroffen sind.

Ob Rumänien die Krise als Entwicklungschance nutzen kann, wird sehr davon abhängen, wie schnell und gut Maßnahmen zur Erhöhung der strukturellen Wettbewerbsfähigkeit ergriffen werden, als auch Instrumente zur Krisenbewältigung, wie Kurzarbeit, eingeführt werden. Die Fähigkeit zur schnellen Reaktion auf Krisen könnte in Zukunft zu einem wesentlichen Standortvorteil werden.

Welche Herausforderungen bringt die Pandemie für das Land?

Die weltweite Pandemie, bringt eine Reihe von Herausforderungen mit sich. Am offensichtlichsten ist die Sicherstellung der Funktionsweise unserer Gesellschaft bei größtmöglicher Reduzierung von persönlichen Kontakten und Mobilität. Wir konnten ja alle miterleben, mit welcher Geschwindigkeit sich modernere Möglichkeiten der virtuellen Zusammenarbeit wie z.B. Videokonferenzen und das Arbeiten von zu Hause in den letzten Monaten durchgesetzt haben. Auch wenn wir sicherlich nach der Pandemie in vielen Bereichen wieder zu unserer üblichen Arbeitsweise zurückkehren werden, muss Rumänien diesen Entwicklungsschub aufgreifen und weiterhin in Bereichen umsetzen, in denen ein großer Nachholbedarf besteht. Dieses kann zur Entwicklung vieler Sektoren führen, die sich nicht gemäß den Bedürfnissen der Gesellschaft entwickelt haben. Es geht vor allem um eine Digitalisierung aller Bereiche, von der öffentlichen Verwaltung bis zur Ausbildung, von der Gesundheit bis zum Finanzwesen usw. Eng verbunden mit dieser Maßnahme ist eine Debürokratisierung der rumänischen Verwaltung, die wie wir ja alle wissen noch stark papiergebunden ist.

Zur kurzfristigen Ankurbelung aber auch langfristigen Förderung des Wirtschaftswachstums müssen in Rumänien jetzt auch weitere Themenbereiche angegangen werden, wie:

• Entwicklung der Infrastruktur, mit auch langfristig positiven Folgen – aktuell noch stärker von der EU gefördert.

• Förderung von Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit – sowohl staatlicher als auch privater Investitionen.

• Umsetzung fiskalischer Prädiktibilität und stabile legale Randbedingungen – unterstützt die ersten beiden und trägt stark zur gesunden organischen Entwicklung der gesamten Gesellschaft bei, wobei das wirtschaftliche Umfeld sowohl bei großen Unternehmen als auch bei KMU und Kleinunternehmern positiv beeinflusst wird.

• Verstärkte Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen mit Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.

• Effizientere Ausgestaltung des Staatsapparats, insbesondere durch Digitalisierung, aber auch durch strukturelle Reformen (z.B. mehr Regionalisierung).

• Einführung der Kurzarbeit und entsprechende kohärente Anpassung der Arbeitsgesetzgebung.

Wie schnell wird sich die Automobilindustrie erholen?

Die gesamte Automobilindustrie wurde stark von der Pandemie betroffen. Anhand der letzten Berichte, bewegt sich die Produktion in China und Amerika bei minus 25 Prozent, in Europa bei minus 40 Prozent. China wird im zweiten Quartal leicht positiv gegenüber dem Vorjahr sein, Europa weit hinterherlaufen, Amerika dazwischen. Die Erholung dürfte in Europa am langsamsten verlaufen, die Automobilindustrie wird im 2. Quartal Milliardenverluste schreiben. Marktbeobachter gehen für 2020 von einer globalen Produktion von unter 70 Millionen Fahrzeugen aus, ein Rückgang von über 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das Ausmaß der Krise ist ungleich höher als im Jahre 2009. Für europäische Autobauer und Systemzulieferer verheißt das nichts Gutes. Das zweite Quartal wird wohl wirtschaftlich das schwierigste der Nachkriegszeit werden.

Wir haben es aktuell mit zwei riesigen Bewegungen zu tun. Da ist zum einen der technologische Transformationsprozess: Digitalisierung, assistiertes und automatisiertes Fahren, Elektrifizierung, Dienstleistungen. Das allein ist schon ein gigantisches Paket für die Automobilindustrie. Obendrauf kommt nun eine Marktkrise, die so seit 1930 nicht mehr da war.

Die Erholung dieser europäischen Schlüsselindustrie muss sicherlich durch staatliche Kaufanreize unterstützt und beschleunigt werden. Eine ausschließliche Förderung ausgewählter Antriebsarten, wie Elektromobilität ist hier nicht ausreichend, es muss ebenfalls eine substantielle Förderung von Fahrzeugen mit moderner, sauberer Verbrennungstechnologie erfolgen. Zum einen ist der Marktanteil und die Produktionskapazität von Elektrofahrzeugen zu niedrig, um einen substantiellen Förderungseffekt zu erzielen, zum anderen sind beim heutigen Energiemix in der Gesamtenergie- und Schadstoffbilanz moderne Verbrennungsfahrzeuge effizienter und sauberer als Elektrofahrzeuge, die mit Kohlestrom geladen werden.

Share

Share

Top