
Dragoş Anastasiu: Rumänien muss Lösungen zur Ausbildung, Heranziehung und Sicherung der Arbeitskraft finden, um auf dem Radar der Investoren zu bleiben
Seit einigen Jahren wird Rumänien mit einem allgemeinen Mangel an Arbeitskraft konfrontiert. Es gibt drei Aspekte dieses Defizits, und zwar: der numerische – die aktive Bevölkerung des Landes ist geschrumpft; der qualitative – das Bildungssystem hat sich von den aktuellen Bedürfnissen des Geschäftsumfelds entfernt, und der Aspekt aus Sicht der Einstellung (Mindset).
Zu diesem Zeitpunkt stellt dieser letzte Aspekt die HAUPTSÄCHLICHE Hürde im Weg der Entwicklung der rumänischen Wirtschaft dar, die weiterhin über ein hohes Wachstumspotenzial verfügt. Sicherlich gibt es auch andere Barrieren, wie etwa der Mangel an Digitalisierung, exzessive Bürokratie, Mangel an Vorhersehbarkeit der wirtschaftlichen und gesetzlichen Maßnahmen, das Image Rumäniens in der Welt, das sich weit unterhalb der Realität befindet, und so weiter.
Das Problem des Mangels an Arbeitskraft ist nicht nur für Rumänien spezifisch. Es gibt zahlreiche europäische Staaten, die mit solchen Schwierigkeiten konfrontiert werden, wie etwa Deutschland oder Polen. In Rumänien ist die Krise jedoch akut und, ohne dringende Maßnahmen, kann sie zu einer großen Gefahr ausarten.
In dieser Lage befindet man sich aus mehreren Gründen, unter denen:
• Die Auswanderung von mindestens vier Millionen aktiven Menschen in den vergangenen 20 Jahren (20% der Bevölkerung des Landes), wobei Rumänien die höchste Auswanderungsrate innerhalb Europas verzeichnet;
• Die Abschaffung vor mehreren Jahren des Systems zur beruflichen Ausbildung;
• Die Einstellung vieler einheimischer Unternehmer gegenüber ihren Angestellten;
• Das Gehaltsniveau, das weit unter dem Durchschnitt der Europäischen Union liegt;
• Der Mangel an einem Immigrationsgesetz;
• Der Rückgang des Vertrauens der Menschen (Angestellten) hinsichtlich der Zukunft im Inland;
• Der Mangel an einigen kohärenten Politiken zur Zurückholung der Rumänen, die ins Ausland ausgewandert sind.
Bestimmte gesetzliche Maßnahmen, die in letzter Zeit (und die auch eine gute Seite haben) vorgenommen worden sind, wie etwa die Erhöhung des Mindestgehalts ohne eine Korrelation zur Produktivität, aber besonders die Erhöhung der Gehälter aus dem staatlichen System, haben zu einem zusätzlichen Druck auf das private Geschäftsumfeld geführt, das ohne ausreichende Schritte zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und der Produktivität (unter den Bedingungen einer erhöhten und nutzlosen Bürokratie) zur Beibehaltung des Rhythmus, wurde in eine Lage der Unterlegenheit gegenüber dem staatlichen System versetzt, dort, wo der Gehaltsdurchschnitt um 30% größer geworden ist. Die Lage aus Rumänien ist nicht überall gleich. Es gibt Gegenden, die über keine angemessene Infrastruktur verfügen und wo die Arbeitslosenrate viel größer ist als der landesweite Durchschnitt (4,9%), unter den Bedingungen, unter denen in anderen Gegenden, wie etwa die Hauptstadt oder Großstädte aus Siebenbürgen, die Arbeitslosenrate praktisch null beträgt.
Das Geschäftsumfeld hat viele Vorschläge gemacht (aber auch Anstrengungen unternommmen) zur Implementierung solcher konkreten Lösungen – kurz-, mittel- und langfristig – zur Behebung dieses akuten Problems. Rumänien braucht diesbezüglich eine Strategie, die sofort praktisch umgesetzt werden kann und die schrittweise verfolgt werden kann. In diesem Sinne gibt es Bemühungen auf Ebene der Regierung und des Parlaments, jedoch sind die Schritte zurückhaltend und die Maßnahmen lassen auf sich warten.
Eine der kurzfristigen Lösungen ist die Heranziehung der Arbeitskraft aus anderen benachbarten oder weiter entfernten Ländern, eine unbeliebte Maßnahme mit einigen Gefahren, einschließlich mit sozialen Gefahren, die zu diesem Zeitpunkt jedoch als unmittelbar zu sein scheint. Die Anzahl der ausländischen Angestellten (non-EU) ist in Rumänien zu diesem Zeitpunkt sehr gering (einige Tausende), das Kontingent wurde vor Kurzem erhöht (erneut, extrem zurückhaltend), jedoch sind die Verfahren so kompliziert, dass der Erfolg nur dann sichtbar werden wird, wenn diese tiefgreifend vereinfacht werden.
Es gibt ganze Bereiche (wie etwa das Gastgewerbe, das Baugewerbe, usw.) in denen das Bedürfnis riesig ist (Hunderttausende von verfügbaren Arbeitsplätzen). Die Schrumpfung des staatlichen Sektors könnte eine bedeutende Anzahl von Personen auf den privaten Arbeitsmarkt bringen. Die Förderung der Arbeit zum Nachteil der Sozialleistungen, aber auch die Aktivierung einiger Personengruppen (Stundenten, Rentner) mit diversen Anreizen, könnte eine weitere kurzfristige Lösung darstellen. Zudem können Möglichkeiten gefunden werden, durch die die Mobilität der Menschen (aus Gegenden mit Arbeitslosigkeit in Richtung derjenigen mit vielen verfügbaren Arbeitsplätzen) verbessert wird.
Nicht zuletzt muss die Zurückholung nach Rumänien einiger derjenigen, die ins Ausland ausgewandert sind, eine Priorität sein. Es sind bereits Programme eingeleitet worden, wie etwa Diaspora Start-Up, wodurch die Rumänen mit Unternehmergeist aus dem Ausland dazu stimuliert werden sollen, nach Hause zurückzukehren. Wenn es jedoch keine kohärente Strategie geben wird, die diese Art von Projekt mit vielen anderen Aspekten verbindet, die zur Rückkehr ins Land beitragen, könnte alles ein Tropfen im Ozean bleiben.
Die Menschen sind zweifellos an ihre Einkommen interessiert. Die Einkommen stellen jedoch nicht die hauptsächliche Barriere im Weg der Rückkehr ins Land oder zur Aufhaltung der Immigration dar, es gibt viele andere Aspekte, und der wichtigste ist das Vertrauen. Leider scheinen sich die Dinge aus dieser Sicht in den vergangenen Jahren nicht verbessert zu haben, sondern im Gegenteil. Dann zählen das Gesundheits- und Bildungssystem, die ein ähnliches Niveau anbieten sollten, wie das der Länder, in die die Rumänen zum Arbeiten auswandern. Hier werden auch Anstrengungen unternommen (die beträchtliche Erhöhung der Einkommen der Ärzte oder der Lehrer), aber wieder brauchen wir eine Kohärenz des Aktionsplans, der auch weitere wichtige Aspekte umfasst. Nicht zuletzt kommen wir auf das Vertrauensgefühl zurück.
Die Reaktivierung und die Förderung des dualen Bildungssystems (auf Niveau des Lyzeums und der Hochschule) ist ein dringendes Bedürfnis, das mittelfristige Erfolge mit sich führen wird. Langfristig ist es am wichtigsten dass das Bildungssystem sich grundlegend ändert, angefangen mit dem Mindset. Hier meine ich das Mindset der Lehrer, aber auch der Eltern, die die Kinder nicht mehr zu einem Universitätsdiplom – als eine Garantie zum Lebenserfolg – drängen müssten, sondern gegebenenfalls zum Erlernen eines Berufs innerhalb eines leistungsfähigen Systems, das untrennbar an die echten Bedürfnisse des privaten Geschäftsumfelds gebunden ist.
All diese Dinge sind keine große Philosophie, und Rumänien ist nicht das einzige Land auf der Suche nach Lösungen. Es ist jedoch notwendig, dass das private Umfeld sich mit dem Regierungsumfeld an den Tisch setzt, dass sie einen Aktionsplan erarbeiten und diesen bedingungslos in die Praxis umsetzen.
Während dieser gesamten Zeit ist die Entdeckung und Erhaltung der Talente eine Priorität für all diejenigen geworden, die verstanden haben, dass die humane Ressource die wichtigste für den mittel- und langfristigen Erfolg ist. Eine ganze Reihe von Unternehmen hat den Begriff „glückliche Angestellte” eingeführt und unternimmt Anstrengungen in dieser Hinsicht. Die ausländischen Unternehmen und, vor allem, die deutschen haben die wenigsten Probleme mit dem Mangel an Arbeitskraft, da sie nicht nur die Bedeutung des Gehalts, sondern auch die anderen Aspekte, die zählen, zeitig verstanden haben: die persönliche und berufliche Entwicklung, das flexible Programm, die Entscheidungsfreiheit, die Beteiligung der Angestellten an sozialen Projekten. All diese Maßnahmen führen zum Glück des Angestellten, der dem Unternehmen somit treu wird oder bleibt.
Bei uns sind die Dinge nicht einfach, jedoch ist Rumänien genau deshalb ein Land mit unzähligen Möglichkeiten. Und zwar für diejenigen, die mit Unternehmergeist Lösungen für komplizierte Probleme finden. Wäre es einfach, so wäre es für jeden. In Rumänien mit einem Mindset zu agieren, das in entwickelten Ländern gebildet ist, ist ein Schlüssel zum Erfolg. Die Rumänen mit gutem Geist, die nach Hause zurückkehren, sind zum Erfolg „verurteilt”. Sie setzen sich leicht vom Durchschnitt ab und erreichen die Spitze. Das passiert nicht so leicht in „ruhigen” Ländern. Trotz des Mangels an Arbeitskraft sind die deutschen Unternehmen mit den Ergebnissen aus Rumänien zufrieden und wollen hier weiterhin investieren, sogar nochmehr als bislang. Das ist ein gutes Zeichen, das uns jedoch nicht beruhigen sollte, sondern uns eher dazu stimulieren sollte, die wichtigen Angelegenheiten zu lösen, die eine Gefahr darstellen könnten. Diese Einstellung der Unternehmer und Investoren ist nämlich nicht auch für die Zukunft garantiert. Deren Mobilität ist der Mobilität der Arbeitskraft deutlich überlegen! Lösungen zu finden ist unsere Aufgabe, die Aufgabe aller, die in Rumänien tätig sind und an das Potenzial Rumäniens glauben.
Der Unternehmer Dragos Anastasiu ist der Eigentümer der Eurolines-Gruppe und Vorsitzender der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer (AHK Rumänien).
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