
Ein bewegter Sommer
Normalerweise ist der Sommer eher ein Tiefpunkt für Journalisten und Analysten, die sich mit politischen und wirtschaftlichen Themen auseinandersetzen, dafür aber eine Hochzeit für ihre auf den Jet-Set, Mode und Sommerkosmetika spezialisierten Kollegen.
Rumänien war 2017 eine Ausnahme von dieser Regel – die Innenpolitik war und ist sehr bewegt, und darunter leidet die Wirtschaft.
Die erst im Juni eingeführte Koalitionsregierung unter dem Sozialdemokraten Mihai Tudose packte eine Reihe umstrittener Themen an, und einige ihrer justiz- und wirtschaftspolitischen Ansätze trieben wieder Menschen auf die Straße.
So legte Tudorel Toader, der neue Justizminister und gewesener Richter am rumänischen Verfassungsgericht mehrere Vorschläge für eine Reform der Justizverwaltung vor, von denen einige auf Protest der Zivilgesellschaft, der Richter und Staatsanwälte und der westlichen Botschaften stießen, darunter der amerikanischen und der deutschen.
Der Hauptvorwurf an den Vorstoß ist, dass er eine negative Auswirkung auf die Unabhängigkeit der Justiz gegenüber der Politik hat und somit auch ein Risiko für die Bekämpfung der Korruption darstellt.
Ein weiteres Paket steuerpolitischer Maßnahmen, wiederum durch Eilverordnungen erlassen, wurde von gleichermaßen Bürgern und der Wirtschaft noch schlechter aufgenommen.
Eine der Maßnahmen, die sich auf die Wirtschaft insgesamt auswirken wird, ist die Überbesteuerung der Treibstoffe. Obwohl die Regierung (damals noch unter Dacian Ciolo?) erst im Januar 2017 auf eine von Transportunternehmen scharf kritisierte Superspritsteuer verzichtet hatte, hebt die Exekutive die Verbrauchssteuern für Benzin und Diesel jetzt erneut an. In zwei Schritten sollen die Treibstoffsteuern ab 15. September und 1. Oktober 2017 um je 0,16 Lei pro Liter steigen. Der Arbeitgeberverband der rumänischen Transportunternehmen (FORT) warnte, dass jeder Eurocent mehr in den Betriebskosten direkt die Wettbewerbsfähigkeit rumänischer Straßenspediteure beeinflusst. Der Treibstoffverbrauch werde sich einfach außerhalb Rumäniens verlagern, dem Haushalt würden so wichtige Einnahmen entgehen, ermahnte FORT. Nach Berechnung des Verbands würde ein voller Lkw-Tank 450 Lei mehr kosten.
Weiterhin wird ein neues Steuerverfahren den Betrieb in zahllosen Firmen in Rumänien durcheinanderwirbeln – die getrennte Überweisung der Mehrwertsteuer, die auch Split VAT genannt wird. Konkret bekommen die mehrwertsteuerpflichtigen Unternehmen ein eigenes Mehrwertsteuerkonto bei der Staatskasse. Wenn Käufer ihre Zulieferer bezahlen, überweisen sie die Kaufsumme auf das Bankkonto der jeweiligen Firma und die Mehrwertsteuer auf deren Staatskassenkonto. Die neuen Vorschriften gelten optional ab 1. Oktober, doch das System wird ab 1. Januar 2018 zwingend. Rumänien würde somit als erstes EU-Land das Verfahren flächendeckend verbindlich übernehmen – das System existiert entweder teilweise oder soll später von Ländern wie Polen, Italien oder Großbritannien eingeführt werden. Niemand zweifelt an der Notwendigkeit, die Mehrwertsteuer besser einzutreiben – durch Vizepremier Marcel Ciolacu räumte die Regierung selbst ein, dass diesbezüglich ein Loch von acht Milliarden Lei klafft. Doch, so wie die Koalition für die Entwicklung Rumäniens CDR (die 45 Wirtschaftsverbände in Rumänien vereint) noch während der Vorbereitung der Maßnahme ermahnte, müsse die Hinterziehung «verhältnismäßig und derartig bekämpft werden, dass kein zusätzlicher Verwaltungsaufwand entsteht».
Sowohl die rumänischen Unternehmer als auch die ausländischen Investoren kritisieren das neue System auch aus dieser Hinsicht. So schätzte der Foreign Investors Council, dass die Einführung der getrennten Überweisung der Mehrwertsteuer ab 1. Januar 2018 besonders gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaft haben und erhebliche Betriebsstörungen verursachenwerde – und zwar sowohl bei den Firmen, als auch bei den Steuerbehörden.
Kopfzerbrechen wird den Firmen auch eine Änderung im Sozialversicherungswesen bereiten. Ende Juli kündigte das Finanzministerium an, dass ab 1. Januar 2018 die Beiträge zur Sozialversicherung – also zu Renten- und Krankenkassen – nur beim Arbeitnehmer anfallen. Der Arbeitgeber ist allerdings weiterhin verpflichtet, die Beiträge zu berechnen, sie einzubehalten und sie zu überweisen. In der gleichen Mitteilung heißt es, dass die Pflichtbeiträge um 4,25 Prozentpunkte herabgesetzt werden: von 39,25% auf 35%. Und ab dem gleichen Stichtag soll die Lohnsteuer von 16% auf 10% fallen.
Auf einen ersten Blick drückt das die Lohnnebenkosten auf Arbeitgeberseite und, so die Aussage des Ministeriums, sichert dem Arbeitnehmer eine höhere Rentenberechnungsgrundlage. Doch wenn sich der Arbeitgeber nur an den Buchstaben und nicht an den Geist des Gesetzes hält, könnten die Nettolöhne rückläufig werden. Die Firmen könnten theoretisch die Bruttolöhne anheben, damit die Nettoverdienste gleich bleiben, müssen es aber nicht. Und ob und wie viele das auch wirklich tun, ist heute unmöglich zu sagen.
Die Firmen harren in einer abwartenden Haltung aus, auch weil niemand die Richtung zu erkennen vermag, in der sich die Regierung bewegt. Denn nur wenige Tage vor der Mitteilung des Finanzministeriums, sagte Premierminister Mihai Tudose, dass sich auch 2018 nichts an der Berechnung und Bezahlung der Renten- und Krankenversicherung ändert.
Stichwort Renten: Im August schürte die Regierung wieder eine Polemik zum Thema private Pflichtrenten, nachdem nur wenige Monate früher ein Skandal zu dieser Frage die Schlagzeilen bestimmt hatte. Zum damaligen Zeitpunkt wurde der Regierung vorgeworfen, die in der zweiten Säule des Rentensystems gesammelten Fonds verstaatlichen zu wollen. Jetzt gab sie wieder gegensätzliche Signale zur Zukunft dieses Fonds, der 7,92 Milliarden Euro und (nach Daten der Finanzaufsicht) ein Jahreswachstum von fast 31% erreicht hat. Premierminister Mihai Tudose kündigte im Fernsehen an, dass drei Varianten überlegt werden: Die Situation bleibt, wie sie ist – also werden 5,1% vom Bruttolohn überwiesen; oder dieser Anteil geht zurück; oder der Versicherte wählt zwischen den beiden Fonds – dem staatlichen oder dem privaten Pflichtsystem. Gerüchte am Markt sprachen von 2,5%, obwohl auch der aktuelle Prozentsatz die gesetzliche Voraussetzung von 6% nicht erfüllt. Die Regierung steigerte sich eine praktisch sinnlose Diskussion hinein und fachsimpelte über die unterschiedlichen Renditen der privaten und öffentlichen Systeme, obgleich es zwischen ihnen – ein öffentliches System auf der Basis der Generationensolidarität und Umverteilung und ein privates System, das Geld im Namen der einzelnen Versicherten anlegt – keine Vergleichsgrundlage geben kann.
Die Regierung spricht über vermeintliche Rentabilitätsmängel des Privatfonds und stellt das einem Raubbau an der Alterssicherung der Menschen gleich. Einer der Gründe für die zu niedrigen Renditen seien die zu hohen Provisionen der Fondsverwalter – selbst wenn sich an den heutigen Beiträgen nichts ändert, würden die Provisionen auf jeden Fall reduziert werden.
Sie sind nicht die einzigen, an denen sich der Regierungschef stört: er kanzelte auch einige ungenannte Banken ab, dass sie durch Provisionen auf Girokonten brutaler absahnen als Wegelagerer (weshalb er seinen Lohn nicht auf ein Bankkonto überweisen lässt, erläuterte Tudose). Bei den letzten Änderungen an den Steuergesetzen wurden die Banken über Nacht so abgestraft, dass verkaufte faule Kredite nur zu 30% mehr bei der Gewinnsteuer absetzbar sind.
Doch es ist nicht nur die Regierung, die ein gespanntes Klima schafft. Unter Berufung auf Insiderquellen behauptete Senator Florin Cî?u von der PNL in einem Gespräch mit Ziarul Financiar, dass die Regierung kein Geld mehr habe und eine Gebühr von 0,5% auf das Vermögen der Akteure der Finanzindustrie plane: Banken, Versicherungen, non-banking Financial Institutions. Die Information wurde zwar sofort von Premierminister Mihai Tudose dementiert, aber dass die Regierung dringend mehr Geld braucht, ist nicht aus der Luft gegriffen – im September muss Rumänien an die EU fast 1,2 Milliarden Euro aus dem Bailout-Kredit von 2009 nach der Krise zurückzahlen. Die Überbesteuerung der Treibstoffe würde somit in diese Logik passen, wie auch die Tatsache, dass im neuen Steuerkatalog mehrere Versprechen übersehen wurden: Steuerentlastungen für Ärzte und Landwirte müssen noch warten und ein Verzicht auf die 5% Steuer auf Kapitalgewinne muss ebenfalls noch warten.
Das Wirtschaftsklima scheint also unberechenbar zu sein, und in der Gesellschaft spürt man wieder den Geist der Proteste vom Winter. Damals demonstrierten Bürger massiv gegen die Entschärfung der Korruptionsgesetze. jetzt gehören weitere Zutaten zur Motivationsmixtur: der Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz, teurerer Sprit, kleinere Nettolöhne, das Split VAT System und, neuerdings, das Risiko, dass ein neues Bergbaugesetz das Comeback des umstrittenen Goldtagebaus von Ro?ia Montan? möglich macht.
Dass Rumänien im zweiten Quartal das EU-weit höchste Wirtschaftswachstum hingelegt hat, scheint im allgemeinen Bild des Chaos unterzugehen.
von Alex Gröblacher
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