
Teurer Sturm im Wasserglas
von Alex Gröblacher
Stein des Anstoßes in der jüngsten politisch-finanziellen Affäre war das beachtliche Vermögen, das die Privatversicherungen in der so genannten zweiten Säule des Rentensystems verwalten. Fast 6,9 Millionen Versicherte zahlen im Moment monatlich 5,1 Prozent ihres Bruttoeinkommens an eines der sieben Versicherungsunternehmen, das dieses Vermögen anlegt und beim Erreichen des gesetzlichen Rentenalters wieder auszahlt. Anders als im Umlageverfahren der öffentlichen Rentensysteme hat in der zweiten Säule jeder Versicherte sein eigenes Konto, die Beiträge und Anlagengewinne werden dann entsprechend individuell angerechnet. Bei der Einführung des Systems lag der Beitrag zu den privaten Pflichtversicherungen bei zwei Prozent, er sollte dann jährlich um 0,5% angehoben werden und im Jahr 2016 sechs Prozent erreichen. Die Idee dahinter war wie in vielen europäischen Ländern, auch eine private Komponente der Altersvorsorge einzuführen. Doch bei gleichbleibenden Gesamtbeiträgen zur Rentenversicherung bedeutet jede Anhebung der Anlagen in Privatrenten automatisch weniger Geld für das öffentliche System. Deshalb setzten mehrere Regierungen die Vorschriften zeitweilig aus. Dadurch seien den Versicherten Beiträge von fünf Milliarden Lei entgangen, die einen Ertrag von einer Milliarde Lei gebracht hätten, schätzte der Branchenverband der privaten Rentenversicherer (APAPR).
Radu Cr?ciun, Geschäftsführer der Versicherungsgesellschaft BCR Pensii hatte Ende März in einem Beitrag auf seinem eigenen Blog rumänischen Politikern nahegelegt, sich nicht vom polnischen und ungarischen Modell verlocken zu lassen, wo die Regierungen das Vermögen der privaten Pflichtrentenversicherungen quasi verstaatlicht hatten, um kurzfristig Löcher im Haushalt zu stopfen. In Ungarn hatte die Regierung von Viktor Orban durch mehrere Maßnahmen umgerechnet fast 12 Milliarden Euro Vermögen aus der zweiten Säule in die erste Säule übertragen, also in den Bereich der öffentlichen Versicherungen. In Polen wird das System gerade reformiert, wobei 75% des Vermögens aus der zweiten Säule in die dritte Säule (die freiwillige private Altersversicherung) wandern und 25% in die erste Säule überwiesen werden.
Während Cr?ciun, einer der prominentesten volkswirtschaftlichen Experten der Öffentlichkeit, es bei diesen Gedanken beließ, ging der liberale Spitzenpolitiker C?t?lin Predoiu einen Schritt weiter. In einem Facebook-Eintrag warnte er am 1. April, dass hinter den Kulissen der Regierung des Sozialdemokraten Sorin Grindeanu immer intensiver über die Verstaatlichung der Privatrenten diskutiert werde – damit sollten die Haushaltsdefizite ausgeglichen werden, behauptete Predoiu, der unter Berufung auf ein Berechnungsmodell des Think Tanks Expert Forum vor dramatischen Konsequenzen warnte: sollte es zur Verstaatlichung kommen, würde die durchschnittliche Rente im Jahr 2040 gerade 17 Prozent des Durchschnittslohns erreichen, schrieb Predoiu auf Facebook. Der Text erschien später auch als offizielle Pressemitteilung der Liberalen.
Die Lage eskalierte allerdings, als der niederländische Rentenfonds NN, der größte Akteur der zweiten Säule (1,93 Millionen Versicherte, 12,3 Milliarden Lei Vermögen, fast 37 Prozent Marktanteil – laut ASF, Stand: März 2017) in einem Rundschreiben an seine Kunden einen etwas alarmierenden Ton anschlug: Es habe in den letzten Wochen Diskussionen über eine eventuelle Entscheidung zur Verstaatlichung der in der 2. Säule privat verwalteten Aktiva gegeben; die Versichertenrechte könnten durch politische Entscheidungen beeinträchtigt werden – Einfrierung des Beitrags auf einen bestimmten Anteil des Bruttoeinkommens, teilweise oder volle Einstellung der Überweisungen, Verstaatlichung der auf den einzelnen Konten liegenden Summen. NN versprach im Schreiben vom 11. April, alles in seiner Macht liegende zu tun, um die Eigentumsrechte der Versicherten über die Beträge zu schützen.
Die Regierungskoalition schaltete in den Krisenmodus. Der frühere rumänische Finanzminister Eugen Teodorovici, gegenwärtig Chef des Fachausschusses für Haushalts- und Finanzfragen im Oberhaus des rumänischen Parlaments, forderte sofortige Klarstellung vom amtierenden Finanzminister Viorel ?tefan – es sei gefährlich, solche Gerüchte in Umlauf zu lassen, ohne sie zu dementieren, oder aber klar zu sagen, ob es solche Überlegungen gibt, meinte Teodorovici.
Der Finanzminister hatte allerdings bereits nach Cr?ciuns und Predoius Veröffentlichungen im Internet eine derartige Absicht dementiert. Es sei völliger Unsinn, darüber zu reden, sagte ?tefan: Die erste Säule, das öffentliche Rentensystem sei in einem Konsolidierungsprozess, dadurch sei die Last zum Ausgleich der Defizite durch den Staatshaushalt geringer geworden.
Am 12. April, nach der NN-Mitteilung wiederholte er das Dementi: Es sei nicht verständlich, warum ein Versicherungsunternehmen unrichtige Informationen verbreitet, die zu einer negativen Leistung führen würden; es gebe keinen politischen oder wirtschaftlichen Grund, der so eine Maßnahme rechtfertigen würde. Aufgrund der Schwere der Behauptungen habe er sich mit der Finanzaufsichtsbehörde ASF ausgetauscht und sie aufgefordert, die Sache mit den verwickelten Managern endgültig zu klären, sagte ?tefan.
Am gleichen Tag verneinte auch Arbeitsministerin Lia Olgu?a Vasilescu, in deren Zuständigkeit das öffentliche Rentensystem liegt, einen Enteignungsansatz. Die Behauptung sei eine Dummheit, sagte sie dem Nachrichtensender Romania TV.
Von der ASF hieß es sodann, dass es zu dem Thema Verstaatlichung von Privatrentenfonds aus der zweiten Säule keine offiziellen Gespräche gibt und gegeben habe; die Stellungnahme des Rentenfonds NN sei ein Exzess und grundlos, da man Themen nicht auf der Basis von Gerüchten oder politischen Erklärungen ins Gespräch mit den Verbrauchern bringen dürfe. Für die ASF sei kein möglicher Grund für eine eventuelle Entscheidung zur Verstaatlichung der zweiten Säule erkennbar, hieß es dann auch von der ASF.
NN verharmloste anschließend die Kundenmitteilung – es habe sich dabei nicht um eine Warnung gehandelt, sondern lediglich um eine reine Benachrichtigung aufgrund der vielen Anfragen, die den Fonds in den vergangenen Tagen im Kontext der öffentlichen Debatte zum Thema erreicht hätten.
Die schärfsten Töne schlug allerdings der Chef der PSD, Liviu Dragnea an: Das Gerücht sei von ASF- Chef, Mi?u Negri?oiu gestreut worden, weil er wüsste, dass das Parlament die Absetzung der ASF-Führung plant; die Regierung müsse Erklärungen bei der niederländischen Botschaft und von der Regierung in Den Haag verlangen; die Holländer seien vielleicht verärgert, dass ihr Korvettengeschäft nicht funktioniert*; so etwas wäre in den Niederlanden nicht möglich gewesen; NN sollte so gefälligst nur in einer holländischen Kolonie vorgehen, echauffierte sich Dragnea in einer Talkshow im Nachrichtensender Antena 3. Er sprach außerdem über einen Plan, die Europäische
Kommission zu veranlassen, ein Defizitverfahren gegen Rumänien noch vor Jahresende einzuleiten. Dafür würden Informationen in Umlauf gesetzt, dass die Regierung kein Geld für die Lohn- und Rentenerhöhungen habe, sagte
Dragnea. Wer hinter dem Plan stehe, wollte er dann jedoch nicht weiter ausführen. Am 13. April kündigte Premierminister Sorin Grindeanu an, dass die Regierung auch rechtliche Schritte gegen NN prüft. Man könne mit Gerüchten nicht spielen, wer solche Themen an die Öffentlichkeit trägt und Misstrauen stiftet, müsse dafür auch bezahlen, gab er zu bedenken.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich ab, dass die Affäre auch ein konkretes Nachspiel haben würde.
Und in der Tat: Die ASF verhängte wenige Stunden später ein Rekordstrafgeld gegen NN – 750.000 Lei, ein Prozent des Stammkapitals der Gesellschaft. Der Geschäftsführerin der Versicherungsgesellschaft entzog die ASF die Zulassung. Zudem veranlasste die ASF eine Kontrolle bei der BCR Pensii, deren Geschäftsführer Radu Cr?ciun auf seinem Blog die Diskussion über die Verstaatlichung der Rentenvermögen angestoßen hatte. Der ASF-Rat, der in einer Sondersitzung tagte, traf die Entscheidung einstimmig.
Der Verein der Teilnehmer an Rentenfonds und Investitionsfonds (APFFPI) rügte in einem Brief das Vorgehen der ASF: man sei von der extrem schweren Strafe überrascht worden; gerade solche unverhältnismäßige Strafen hätten das Potenzial, den Markt privater Rentenversicherungen insgesamt und die Interessen der künftigen Rentner zu beeinträchtigen, klagte der Verein.
* Anspielung auf einen Rüstungsdeal, bei dem
Rumänien für 1,6 Milliarden Euro vier Korvetten kaufen sollte, die die holländische Damen-Werft in Gala?i baut. Die Zukunft des unter der früheren Regierung von Dacian Ciolo? angebahnten Geschäfts ist jedoch ungewiss, weil die gegenwärtige Mehrheitskoalition von PSD und ALDE Bedenken angemeldet hat.
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