Sommer der Strategen
Eines kann man rumänischen Entscheidungsträgern nun wirklich nicht vorwerfen – dass sie das Grübeln verlernt haben. Eine beeindruckende Anzahl von Strategien haben die klugen Köpfe in diesem Sommer produziert und der undankbar urlaubsorientierten Gesellschaft zur Debatte vorgelegt. Es gibt eine Strategie zur Korruptionsbekämpfung, eine Energiestrategie, eine Tourismusstrategie und, als Krone denkerischer Schöpfung, den Plan für ein wettbewerbsfähiges Rumänien, der natürlich nicht so in der Luft hängt, sondern das Nationale Reformprogramm (das seinerseits die spezifischen nationalen Ziele umfasst, die aus der Strategie Europa 2020 abgeleitet sind) und das Konvergenzprogram, aber auch die Strategie zur Entwicklung Rumäniens in den nächsten 20 Jahren (2016-2035) berücksichtigt.
Nun ist es natürlich logisch, dass Strategien und Pläne völlig in Ordnung sind – man darf schließlich nicht kopflos wie ein betrunkenes Huhn herumrennen. Ordnung und Disziplin müssen sein. Auch leben wir idealerweise in einer Konsensgesellschaft, in der Ziele nach öffentlichen Diskussionen formuliert und nicht vom Olympus der Macht aufoktroyiert werden. In aufwändig gelayouteten Dokumenten werden deshalb übergeordnete hehre Ziele genannt, wie „Rumänien zu seinem tatsächlichen Entwicklungspotenzial bringen“ oder durch die „Strategie die Umsetzung früherer Strategien maximieren“.
Auszusetzen gibt es im Prinzip an solchen Allgemeinplätzen nichts, aber leider bleiben angesichts solcher Zielvorstellungen die Details auf der Strecke. Und bekanntlich versteckt sich der Teufel genau dort.
Letzten Monat hat eine Ärztin der Presse ein Video übergeben, in denen auf einer offenen Brandwunde eines Patienten Maden zu sehen sind. Keine Alternativbehandlung, sondern Zeichen prekärer Hygiene – Fliegen legten Eier in die Wunde. Das passierte nicht in irgendeinem Feldlazarett im syrischen Bürgerkrieg, sondern mitten in Bukarest. So ein Problem kriegt man nicht mit großen Strategien in den Griff, denn hier versagt in erster Linie der Mensch, erst dann das System. Wenn Ärzte und Krankenschwestern ihre elementarsten Aufgaben nicht wahrnehmen, hilft kein noch so hochgestochener Präsidialdiskurs über ein Nationalprojekt.
Mitarbeitern an Rezeptionen oder Kellnern kann man per bombastischen Strategiepapieren keine Servicementalität eintrichtern, darum müssen sich Hoteliers oder Restaurateure kümmern. Niemand wird den Gast verwöhnen, nur weil die Fremdenverkehrsbehörde irgendwelche strategischen Richtlinien vorgegeben hat.
Dabei hat die Regierung mit ihrem Maßnahmenpaket zum Abbau der Bürokratie eindrucksvoll demonstriert, wie viel man im Kleinen bewirken kann, wenn man nur Augen und Ohren offen hält und auf die Kritik der Menschen reagiert. Das ist vielleicht die bessere Vorgehensweise: Initiativen auf niedrigster Ebene, auf denen aufgebaut werden kann. Dann klappt es wohl auch mit den großen Zielen.
Share
Share