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Der neue Nationalismus

Solche Szenen gab es in Rumänien seit den frühen 1990er Jahren nicht mehr: einen Menschenpulk, der hasserfüllt „Ausländer raus“ ruft. Damals hetzten noch frühe postkommunistische Machthaber gegen ausländische Investoren, um an ihren neuen Positionen festzuhalten und desinformierte Arbeiter waren der Propaganda über geldgierige fremde Kapitalisten massiv auf den Leim gegangen. Im April 2016 waren es Beschäftigte der Rumänischen Nationaloper in Bukarest – und somit also eher kultivierte Kosmopoliten. Der dänische Star Johan Kobborg hatte seit 2013 als Direktor für Ballettkunst zusammen mit seiner langjährigen Tanz- und Lebenspartnerin Alina Cojocaru dem Kulturbetrieb ein neues Leben eingehaucht. Er stellte eine internationale Truppe zusammen und experimentierte erfolgreich neue choreographische Ansätze. Anfang April geriet der Intendant in einen Clinch mit Kobborg und versuchte, ihn zu feuern. Cojocaru zog sich aus Solidarität sofort zurück, die Anhänger der Kobborgschen künstlerischen und führungspolitischen Linie kollidierten mit ihren Gegnern, die ihm vorwarfen, die rumänischen Tänzer – immerhin zwei Drittel des Ensembles – ausgegrenzt und finanziell benachteiligt zu haben. Überhaupt habe man an der rumänischen Oper gefälligst Rumänisch zu sprechen. Die Telenovela, die einen Minister stürzte, ist vielleicht lächerlich, deutet jedoch auf schwelende Ressentiments hin.

Auch politisch wird eine von verschiedensten Nationalismen geprägte Denkweise salonfähiger. Zwischen den beiden Weltkriegen wüteten in Rumänien die ethnozentristischen Organisationen der Eisernen Garde und der Legion des Erzengels Michael gegen alles, was ihnen unrumänisch erschien: sie ermordeten Juden, Kommunisten, Freimaurer, politische Gegner, bis sie nach einem Aufstand im Jahr 1940 verboten wurden. Ihr Ideengut passte teilweise auch ins Konzept von Nicolae Ceausescu, er tolerierte und förderte es sogar, weil es seinen nationalkommunistischen Machtansprüchen diente. Nach der Wende tauchte der Nationalismus quasi ab, je mehr die Bürger Kapitalismus und Demokratie, Konsumerismus und Reisefreiheit auskosten durften. Nach der Krise meldete er sich zurück: erst schüchtern, dann immer lautstärker. Echt oder nur instrumentalisiert, die Ängste vor Ungleichheit durch Globalisierung, vor Entfremdung durch Migration, vor Identitätsverlust in einer liberaleren Gesellschaft sind in der großen Politik angekommen. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen spielten die Sozialdemokraten um Victor Ponta die nationalistisch-konservative Karte gegen den Liberalen Klaus Iohannis – man habe zwar grundsätzlich nichts einzuwenden gegen einen kinderlosen, protestantischen Deutschstämmigen, der im Rumänischen nicht gerade zuhause zu sein schien. Aber man dürfe doch auf diese Dinge hinweisen. Dann stellten wiederum die Liberalen aus Personalmangel einen Kandidaten für das Amt des Bukarester Oberbürgermeisters auf, bei dem dringender Verdacht auf rechte Umtriebe in den 1990er Jahren besteht. Insbesondere soll er Sympathie für die wieder auferstandene Eiserne Garde geäußert haben. Die Zivilgesellschaft protestierte gegen den Rechtsruck der Liberalen, der Mann machte einen Rückzieher.

Rumänien ist, wie in vielerlei Hinsicht, selbst regional betrachtet wieder ein Spätzünder in Europa. Eine schlüssig artikulierte erzkonservative Kraft wie die PiS in Polen und FIDESZ (oder Jobbik) in Ungarn, gibt es in Rumänien nicht. Aber es tut sich etwas. Im April tagte in Sinaia die Konferenz „Unser Europa, das Europa der Nationen“, die von der Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheiten organisiert wurde, einer Fraktion der Nationalisten im Europäische Parlament. Key-Note-Speakerin war die Präsidenten des französischen Front National, Marine Le Pen, zu Gast waren außerdem Vertreter anderer gleichgesinnter Parteien aus Europa, zum Beispiel der italienischen Lega Nord. Finden rumänische Nationalisten keine politische Heimat in den großen Parteien, könnten sie eine eigene Bewegung kristallisieren, die den Aufstieg schafft – in Deutschland hat die AfD gerade vorgemacht, wie das geht.

Gemeinsames Feindbild der noch geteilten und schillernden nationalistischen Szene ist das diffus „Fremde“ – Europa, der IWF, die ausländischen Unternehmen. Bogdan Diaconu, Chef der Partei Geeintes Rumänien (die nach SA-Vorbild eine paramilitärische Vlad-Tepes-Garde eingerichtet hat) stellte zuletzt die EU-Mitgliedschaft in Frage. Für ihn bedeutet sie, dass Rumänen „Europas unterbezahlte und verspottete Knechte“ geworden sind. An EU-Politik – gemeint darunter ist die Zuteilung von Flüchtlingsquoten oder der zu laxe Umgang mit Putins Russland – nehmen in Rumänien aber selbst Kommentatoren aus der Mitte Anstoß. Hier treffen sich die Geister: Kritik am Ausland hört man nämlich auch aus der Ecke der Gewerkschaften, die das Vorgehen mancher ausländischer Manager gegen Arbeitnehmervertreter willkürlich finden.

Eine gehörige Portion Wirtschaftsnationalismus vertreten sogar prominente Ökonomen, die sich gerne als Patrioten identifizieren – so der frühere Wirtschaftsminister und selbstverorteten Kommunisten Ilie Serbanescu. Sie stören sich an der Einmischung internationaler Finanzorganisationen und am großen Anteil ausländischen Kapitals in der rumänischen Wirtschaft* und fordern Korrektive: sie plädieren zum Beispiel intensiv für höhere Förderlizenzen für ausländische Öl- und Gaskonzerne wie der österreichischen OMV, die die Mehrheit an der größten rumänischen Energiefirma Petrom hält. Sie rügen zudem, dass ausländische Strom- und Gaskonzerne die bei der Privatisierung der rumänischen Versorger eingegangenen Investitionsverpflichtungen missachten und ihre Monopolstellung auf Kosten der rumänischen Kunden ausnutzen. Bei den massiven Protesten gegen die Goldmine von Rosia Montana hatten zwar die meisten Demonstranten umweltpolitische oder juristische Einwände, doch bei einigen wenigen war es ein Problem, dass ein kanadisches Unternehmen sich an Rumäniens Goldreserven vergreifen will. Und bei Kampagnen gegen illegale Abholzung hört man immer wieder, dass es doch österreichische Firmen sind, die Rumänien das Holz wegnehmen. Das unterschwellige Motto: Wenn schon Raubbau an Ressourcen, dann gefälligst mit rumänischen Unternehmen, die das Geld in Rumänien lassen. Dass die schlecht aufgestellte rumänische Industrie von der Globalisierung hinweg gefegt wurde und die Banken fest in ausländischer Hand sind, wird oft als Beweis für internationale Verschwörungen des Kapitals gedeutet. Eine gewisse Portion Nationalismus steckte auch in der Debatte um das Gesetz, das zahlungsunfähigen Bankkunden ermöglicht, per Kredit gekaufte Immobilien an die Banken zurückzugeben und so ihre Schulden auf einen Schlag loszuwerden. Die rumänische Zentralbank warnte, dass ein solches Gesetz den Finanzsektor schwer gefährden könnte. Ihr wurde sofort an den Kopf geworfen, dass sie als Interessenvertreterin ruchloser ausländischer Banker agiert, die ehrlich arbeitenden Rumänen nur das schwer verdiente Geld wegnehmen wollen.

Selbst der Antikorruptionsbehörde DNA wird aus der nationalistischen Ecke vorgeworfen, bei den Ermittlungen nur rumänische Politiker und Unternehmen im Visier zu haben und so dem einheimischen Kapital zu schaden. Wenn multinationale Konzerne wie Microsoft oder EADS in Bestechungs- und Korruptionsverfahren auftauchen, würden die Staatsanwälte beide Augen zudrücken und an den prominenten Ausländern vorbei ermitteln – ebenfalls ein klarer Hinweis auf die Position eines Underdogs, heißt es. Wenn eine ausländische Firma im Mittelpunkt eines echten Skandals steht, deuten Nationalisten auch das als Beweis für ihre Thesen um.

Die etablierte Politik ist beruflich bedingt besonders empfindlich für solche Einstellungen und nimmt immer mehr Rücksicht auf derartige Positionen. Ist eine kritische Masse erreicht, überträgt sich Nationalismus auch auf die Gestaltung des Wirtschaftsgeschehens. Die Tagesordnung des Parlaments in Bukarest ist in letzter Zeit diesbezüglich vielsagend. Dort hat der Landwirtschaftsausschuss der Abgeordnetenkammer einen Gesetzesentwurf besprochen und genehmigt, der für Supermarktketten – in der Mehrheit westeuropäische Retailkonzerne – neue Auflagen schafft. Demnach müssen mindestens 51% der verkauften Lebensmittel aus einer so genannten “kurzen Versorgungskette” stammen. Davon betroffen sind Fleisch, Eier, Gemüse, Obst, Honig, Molkereiprodukte und Backwaren. Das heißt, dass die Produkte nicht älter sein sollten als zwei-drei Tage. Diese Vorschriften sind ein Vorteil für die – zumeist rumänischen – Erzeuger, die nahe am Verkaufsort produzieren. Bei Verletzung der Regeln droht eine Strafe von 150.000 RON, Wiederholungstätern könnte sogar der Laden geschlossen werden. Die Eingangskammer hat den Entwurf schon letztes Jahr im Oktober passiert, jetzt steht nur noch eine Abstimmung im Abgeordnetenhaus an. Das Projekt unterstützten alle Fraktionen und der parteifreie Landwirtschaftsminister Achim Irimescu. Immerhin dürfen die großen Supermärkte am Wochenende nach wie vor offen haben, denn das war auch ein Lösungsansatz der Politiker gewesen – wenn Supermärkte geschlossen sind, kaufen Menschen am Markt ein und unterstützen so die kleinen Landwirte. Inzwischen knüpfen mehrere Parlamentarier aber an eine ältere Idee an, die den Konzernen weh tut: sie wollen die Umsätze der Supermärkte extra besteuern. In der Begründung ihres Gesetzesentwurfes reden die Politiker Tacheles – viele kleine Einzelhändler sind wegen starken Umsatzverlusten pleite, während die Geschäfte der großen Einzelhandelsketten florieren und diese ihre Gewinne in die jeweiligen Stammländer bringen. Zudem kassieren die Retailer von den rumänischen Zulieferern Geld, um die Waren auszustellen und zu verkaufen.

Im Senat liegt gerade ein neuer Gesetzentwurf mehrer Liberaler vor – danach soll der Kauf von landwirtschaftlichen Flächen durch Ausländer eingeschränkt werden. Nur wenn sie zu mindestens 30 Prozent rumänisches Partnerkapital haben, zu 60 Prozent rumänische Führungskräfte einstellen und die Beschäftigten generell zu 90% Rumänen sind, sollen Ausländer Ackerland kaufen dürfen. Und sie müssen sich nach dem Kauf schnell bewegen – schon sechs Monate später muss angebaut werden. Die Urheber machen keinen Hehl aus dem Sinn des Gesetzes: Es geht um den Schutz der rumänischen Landwirte.

Protektionismus ist nicht nur in Rumänien das neue Mantra. In den USA stänkert der Republikaner Donald Trump im Wahlkampf gegen die Globalisierung, die den Amerikanern die Jobs weggenommen und nach China gebracht hat und gegen die Migration, durch die Mexikaner den Amerikanern die Arbeitsplätze auf eigenem Gebiet streitig machen. Er will Apple, Ford und andere Unternehmen zurück in die USA bringen und droht ihnen sonst mit Strafzöllen. Und in der Brexit-Debatte spielen nationalistische Ansätze bei der Wirtschaftspolitik eine große Rolle. Die deutlichste Warnung steht jedoch im neusten Konjunkturausblick vom IWF: „Die politische Diskussion in Europa und den USA ist zunehmend nach innen gewandt“ und „das Ergebnis könnte sein, dass sie sich mehr nationalistischer Politik und Protektionismus zuwenden.“

* Nach einer von der Ziarul Financiar erstellten Studie besitzen rumänische Firmen ein Eigenkapital von umgerechnet 32 Milliarden Euro, ausländische Firmen haben hingegen 39 Milliarden Euro. Die überwiegend höchsten Anteile halten fremde Unternehmen an schweren Industrien: Erdölverarbeitung (97%), Kraftfahrzeugbau (96%) Metall- und Elektroindustrie (über 80%). Rumänische Firmen sind mehrheitlich beteiligt an der Agrarwirtschaft (87%), Bauwirtschaft (80%), Straßentransport (67%) und Lebensmittelindustrie (66%). Nach Daten des rumänischen Bankenverbandes hatten Ende 2014 von 40 Kredithäusern nur fünf mehrheitlich rumänisches Kapital – zwei davon waren staatliche Banken. Der Anteil der Banken mit ausländischem Kapital am Gesamtvermögen des Bankensystems lag Ende des Jahres 2014 bei 90% (83% im Dezember 2011).

von Alex Gröblacher

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