Ein halbvolles Glas – der Weinmarkt in Rumänien
Die Debatte um die Einführung einer Pflicht für Supermärkte, mehr rumänische Produkte zu verkaufen, ist in der Lebensmittelindustrie mit Spannung verfolgt worden. Eine Branche ließ die Debatte aber weitgehend kalt – die Weinindustrie. Denn schon vor diesem Gesetz bestimmten rumänische Weine das Angebot im Handel. Im Weinregal der großen Läden stehen zumeist rumänische Weine und sie machen sich auch gut im Wettbewerb mit den preisgünstigeren chilenischen oder sogar französischen und italienischen Weinen.
as ist kein Zufall. Rumänien kann sich zwar nicht mit den großen Weinländern vergleichen, kann sich aber im europäischen und besonders im regionalen Vergleich durchaus sehen lassen. Ende des Monats Oktober veröffentlichte die Internationale Organisation für Rebe und Wein (OIV) die Zahlen für die weltweite Weinproduktion. Und Rumänien konnte in diesem Jahr besonders gut abschneiden. Während die großen Player wie Frankreich oder Italien ihre Produktion drosselten und zum Teil starke Einbußen hinnehmen mussten, konnte Rumänien sich nach zwei schlechten Jahren im Vergleich zu 2015 sogar um fast 40 Prozent auf rund 4,9 Millionen Hektoliter verbessern (siehe Tabelle). In Europa ist Rumänien der sechstgrößte Weinhersteller, international liegt Rumänien auf Platz 13. Auch durch die Rebanbaufläche von 192 Tausend Hektar gehört Rumänien zu den Schwergewichten – Platz sechs in Europa, Platz 11 weltweit. Vor der Wende wurden in Rumänien noch 300 Tausend Hektar Rebe angebaut.
Einer der Branchenverbände der rumänischen Weinhersteller (Arbeitgeberschaft der Rebe und Wein – PNVV) ist etwas zurückhaltender in seinen Prognosen. Zwar rechnet man auch dort mit einer höheren Produktion, doch der Vorsprung sei auf 11 Prozent (rund vier Millionen Hektoliter) begrenzt, hieß es in einer Presseverlautbarung Ende September. Dem Verband nach würde die Produktion am stärksten im Weingebiet Vrancea (20 Prozent mehr) steigen, aber mit guten Zuwachsraten sei generell in der Moldau zu rechnen (Ia?i, Hu?i und Cotnari legen um 15 bis 20 Prozent zu. Weingebiete im Banat und Siebenbürgen könnten auf bis zu 10% mehr kommen, während die Großregion Dealu Mare konstante Produktionszahlen erreichen soll. Verluste müssten Winzer hingegen in der Dobrudscha (minus 30 Prozent) und Oltenien (minus 20 Prozent) hinnehmen, so der PNVV. Letztgenannte Gebiete litten in diesem Jahr besonders stark unter der Dürre, während Dealu Mare viel Hagel hatte.
Den Daten vom PNVV zufolge, hat Rumänien letztes Jahr Wein im Wert von mehr als 22 Millionen Euro exportiert (besonders nach Großbritannien und China), dabei aber im Wert von über 42 Millionen Euro importiert. Allein aus Spanien wurden fast 29 Tausend Tonnen eingeführt, aus der Republik Moldau fast acht Tausend Tonnen.
Das Marktforschungsunternehmen KeysFin berichtete im Kontext, dass die Umsätze im rumänischen Weingeschäft in 2015 auf 680 Millionen Lei kamen und in diesem Jahr ihren Spitzenwert von 2013 (723 Millionen Lei) übertreffen werden. Auf der Basis der statistischen Daten kommt KeysFin zum Schluss, dass es in Rumänien offiziell 217 Weinproduzenten gab, die meisten von ihnen in den Landeskreisen Vrancea (69), Bucure?ti (24), Prahova (18), Constan?a (11) und Buz?u (10). Die stärksten Firmen waren letztes Jahr Cramele Reca?, Zarea, Vinexport und Trade-Mark SA – allerdings besagt eine von der Fachzeitschrift TRends HRB veröffentlichte Statistik, dass Jidvei in 2015 mit einem Umsatz von rund 130 Millionen Lei der größte Weinproduzent war. Jidvei, Murfatlar (Umsatz 2015: 124 Millionen Lei, aber in Insolvenz) und Cotnari (117,5 Millonen Lei) seien demnach die größten Konkurrenten auf dem Weinmarkt. Cramele Reca? soll nach Trends HRB die Nummer vier mit etwa mehr als 100 Millionen Lei Umsatz in 2015 gewesen sein.
Nach Ansicht von KeysFin zeige sich, dass die rumänischen Weinhersteller jetzt die Früchte der Optimierung von Produktion und Vertrieb ernten – der rumänische Wein hat eine immer größere Marktquote. Nicht alle Unternehmen konnten mit den großen Herausforderungen – Steuern, Rechtslage, Insolvenzen, Zahlungsverzug usw. – fertig werden, aber wer bestanden hat, ist jetzt gut aufgestellt, meinen die Experten von KeysFin.
Hinsichtlich des Weinkonsums gibt es auch interessante Zahlen. In einem weltweiten Ranking des kalifornischen Wine Institute nimmt Rumänien Platz 20 mit 24,6 Liter pro Person und Jahr ein. Die Rangordnung per se sagt eigentlich wenig über den tatsächlichen Verbrauch aus, denn die Liste wird angeführt von Zwergstaaten wie
Vatikan Stadt oder Andorra oder die Norfolk Inseln mit teilweise weit über 45 Liter Wein pro Einwohner – im Falle des Vatikans sind es sogar fast 55 Liter. Die Statistik basiert einfach auf der Zahl, auf die man kommt, wenn man den Gesamtkonsum durch die Einwohnerzahl teilt. Doch das ist eine verzerrte Statistik – denn bei Länder wie Italien oder Frankreich oder Portugal mit weit über 40 Liter Weinverbrauch im Jahr wird nicht der Konsum von Millionen von Touristen berücksichtigt. In Rumänien, wo die Zahl der Touristen eher überschaubar ist, dürften die etwa zwei Liter im Monat eher der Wahrheit entsprechen.
Doch während die Produktions- und Verbrauchszahlen auf einen reifen Markt hindeuten, ist die Realität des rumänischen Weinmarktes weniger schön. Nach der Wende von 1989 hat zwar ein gewisser Wandel von Quantität zu mehr Qualität stattgefunden – aber die Konsumenten haben diese Transformation nur bedingt mitgemacht. Eine echte Weinkultur, in der die Winzer auf hochwertige Produkte mit höherer Wertschöpfung setzen könnten, ist nicht wirklich entstanden. Eine etwas ältere Studie, die das Meinungsforschungsinstitut Ipsos Research im Auftrag der Retailzeitschrift Progresiv durchführte, deckte im Herbst 2014 die Probleme aus der Kundenperspektive auf. Wein wird zwar nach wie vor gern getrunken, aber es ist eher der Wein aus eigenem Anbau, der es auf den Tisch der Familien schafft.
Flaschenweine werden von den Verbrauchern eher als Luxusprodukt betrachtet, das zu besonderen Anlässen zu genießen gilt. Das bestätigte auch die Erfahrung der Industrie – im Dezember steigt der Verkauf aufgrund der Feiertage um fast 50 Prozent. Fast drei Viertel der von Ipsos befragten Personen gaben an, Bier zu trinken/getrunken zu haben und die Hälfte outete sich als Weintrinker. Aber nur einer von drei trinkt Flaschenweine – und von diesen trinkt weniger als ein Fünftel alle paar Tage.
Das größte Kaufhindernis für abgefüllte Weine ist nach Ergebnis der Umfrage der Preis – mehr als die Hälfte der befragten Weintrinker gab an, dass Flaschenweine zu teuer seien. Nach den optimalen Preisvorstellungen befragt, gaben die meisten eine Preisspanne von 15 bis 25 RON im Laden (ideal 19,5 RON ) und von 25 bis 40 RON (ideal 35 RON) im Restaurant. Das ist nicht viel – und wenn man die Vorstellungen mit dem tatsächlichen Angebot im Geschäft und in der Gastronomie vergleicht, ergibt sich keine gerade große Schnittmenge. Und dabei muss man auch noch bedenken, dass die Ipsos-Umfrage gezielt nur Konsumenten aus großen und mittelgroßen Städten berücksichtigt hat – der Hang zum Konsum aus dem eigenen Anbau dürfte in den kleinen Städten und am Land, wo viele ihre eigene Weinrebe haben, noch ausgeprägter sein.
Aber es gibt Zeichen, dass Qualität sich mit der Zeit durchsetzen wird. Der wichtigste Faktor dabei ist die Kaufkraft. Denn Wein ist ein ganz besonderes Produkt, das sich dem Verbraucher schrittweise erschließt. Eine gute Infrastruktur zu haben, ist diesbezüglich hilfreich: Weinbars, Restaurants mit einem großzügigen Weinangebot und Sommeliers, Fachgeschäfte mit professioneller Beratung, Weintourismus, Fachveranstaltungen und auch Publikumsevents wie Weinfeste. Übrigens Beratung: besonders Frauen haben in der Ipsos-Umfrage angegeben, keinen Wein zu trinken, weil niemand im Restaurant da ist, der sie beraten kann. Und nicht zuletzt ist natürlich auch eine gute Öffentlichkeits- und Informationsarbeit wichtig.
Eine solche Weinkultur entsteht langsam in den größeren Städten. Noch vor einigen Jahren gab es fast keine echte Weinbars in Bukarest, jetzt kann man sie an den Fingern einer Hand abzählen – aber sie sind eben da. Und der Weintourismus entwickelt sich auch. Immer mehr Winzer investieren auch in Dienstleistungen, die nicht mit der Weinproduktion selbst zu tun haben. Sie richten Übernachtungsmöglichkeiten in nahegelegenen Bojarenhäusern ein, bauen schönere Räumlichkeiten für die Weinproben und veranstalten Führungen durch ihre Betriebe. Und auch Reisebüros entdecken diese Art von Tourismus und bieten Ausflüge mit Kostproben an. Sie sind zwar nicht billig, aber die Weinstraßen sind eben nicht für den Massentourismus gedacht.
von Alex Gröblacher
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