
Aufstand der Empörten
Die erste schwere Krise unter den neuen sozialliberalen Machthabern ist zu Ende. Die durch die Proteste von zeitweilig über einer halben Million Menschen heute weltweit berüchtigte Eilverordnung 13, durch die die rumänische Regierung die Bekämpfung der Korruption lahmzulegen drohte, ist vom Tisch. Die inhaltliche Debatte über Strafrechtsnovellen ist im Parlament gelandet, wo sie eigentlich auch hingehört.
Was in den drei Wochen zwischen der Verabschiedung der Eilverordnung am 31. Januar und ihrer endgültigen Außerkraftsetzung passiert ist, wird die Gesellschaft aber noch lange Zeit beschäftigen. Die Krise hat tiefe Spuren hinterlassen – die Regierung hat viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt, nicht nur im Verhältnis zu den Bürgern und zu den Partnern in der NATO und in der EU, sondern auch zur Wirtschaft, besonders zu den multinationalen Konzernen, die als Sündenbock herhalten mussten. Doch diesmal wehrte sich die Wirtschaft vehement und bezog eine selten so klare Position.
Stein des Anstoßes in dem politischen Theaterstück war neben mehreren umstrittenen Abänderungen an strafrechtlichen Vorschriften vor allem die Umgestaltung des Straftatbestandes des Amtsmissbrauchs. Nach dem Strafgesetzbuch macht sich ein Beamter des Amtsmissbrauchs schuldig, wenn er seine Dienstpflichten fehlerhaft wahrnimmt und so einen Schaden verursacht. Das Verfassungsgericht in Bukarest hatte im Sommer 2016 den Begriff „fehlerhaft” als zu unbestimmt befunden und entschieden, dass die Instanzen ihn als „nicht gesetzmäßig” auszulegen haben. Doch obwohl selbst der Präsident des Verfassungsgerichts das Urteil als Auslegungsentscheidung bewertet hatte, die keine Änderung der Strafvorschrift erfordert, meinte die neue Regierung, nach einem halben Jahr dringend handeln zu müssen – mit einer nächtlichen Eilverordnung, die binnen weniger Stunden nach Verabschiedung bereits im Amtsblatt erschienen war.
Der Zivilgesellschaft erschien die Eile als hochverdächtig. Dass die Regierung unter Zugzwang aufgrund der verfassungsgerichtlichen Entscheidung stand, wurde als reiner Vorwand bewertet – denn obwohl die Verfassungsrichter schließlich viele andere Vorschriften als verfassungswidrig eingestuft hatten, konzentrierte sich die Eilverordnung primär auf Amtsdelikte wie Interessenskonflikte oder Amtsmissbrauch. Zudem ging sie noch über die Begriffsklärung hinaus – unter schwammiger Berufung auf europäische Vorschriften wurde eine Mindestgrenze von 200 Tausend Lei – umgerechnet etwa 45 Tausend Euro – eingeführt, ab der ein Amtsmissbrauch überhaupt noch als Straftat eingeordnet werden sollte. Erlass, Genehmigung oder Verabschiedung von Rechtsvorschriften sollten vom Tatbestand des Amtsmissbrauch ausgenommen werden.
Nicht nur Verschwörungstheoretiker sahen hier ein Konstrukt übelster Sorte. Denn laut Eilverordnung 13 sollte auch die Begünstigung verschwägerter Straftäter entkriminalisiert werden (nach dem Gesetz sollten in einer solchen Situation nur Familienmitglieder straffrei ausgehen) und auch hier sollten der Erlass, die Genehmigung oder die Verabschiedung von Rechtsvorschriften nicht unter Täterbegünstigung fallen. Dazu setzte eine andere Eilverordnung mehrere Vorschriften zur Haushaltsdisziplin vorläufig aus. Behörden durften demnach Geld auch über die Grenzen der Verpflichtungsermächtigungen ausgeben und Mittel beliebig zwischen den verschiedenen Töpfen verschieben.
Die Kombination, befürchteten Bürger, Juristen und Opposition, könnte es mächtigen Lokalpolitikern allzu leicht machen, sich aus öffentlichen Mitteln zu bedienen – umso mehr, als der Nationale Plan für Kommunalentwicklung für den Zeitraum 2017-2020 üppige 30 Milliarden Lei vorsieht, umgerechnet mehr als 6,5 Milliarden Euro.
Die Stakeholder reagierten sofort. Die Bürger strömten zu Zehntausenden auf die Straßen. Das Justizselbstverwaltungsgremium CSM, die Berufsverbände der Juristen und Strafverfolgungsbehörden wie die bei Politikern gefürchtete Antikorruptionsbehörde DNA warnten, dass die Bekämpfung der Korruption unter den neuen Voraussetzungen zum Teil gegenstandslos bleiben könnte. Sollten die neuen Strafvorschriften auch nur für kurze Zeit in Kraft sein, müsste die Behörde viele Verfahren einstellen, da im Strafrecht die günstigere Vorschrift auch rückwirkend anzuwenden ist. Was auf dem Spiel steht, verdeutlichte DNA-Chefin Laura Codru?a
Kövesi auf der Jahresbilanzsitzung ihres Hauses am 23. Februar: In Strafverfahren habe die Behörde Sach- und Geldwerte von 667 Millionen Euro sichergestellt, dem Staat sei durch Amtsmissbrauch allein letztes Jahr ein Schaden von 260 Millionen Euro entstanden. Gegen mehr als ein Viertel der Beschuldigten habe die DNA 2016 Anklage wegen Amtsmissbrauchs erhoben, so Kövesi.
Erschwert hätte die Arbeit der Staatsanwälte aber auch eine andere, durch die Eilverordnung 13 novellierte Rechtsnorm aus der Strafprozessordnung (die jedoch nur für die Zukunft gewirkt hätte): Eine Straftat ist innerhalb von sechs Monaten bei der zuständigen Behörde anzuzeigen. Dadurch wären aus evidenten Gründen künftig nicht nur Korruptionsverfahren beeinträchtigt worden, sondern auch Verfahren aus dem Bereich der organisierten Kriminalität zum Beispiel im Drogen- oder auch Menschenhandel.
Auch die Europäische Union hatte schon Lunte gerochen, konnte aber im Fortschrittsbericht im Rahmen des Kooperations- und Überprüfungsmechanismus die neuesten Entwicklungen gerade noch in einer Fußnote erfassen: „Seit dem Inkrafttreten der neuen Strafgesetzbücher im Jahr 2014 verfügt Rumänien über einen umfassenden Rechtsrahmen für die Korruptionsbekämpfung. Wie bereits angemerkt wurde, gab die Stabilität dieses Rechtsrahmens von Anfang an Anlass zur Sorge, da regelmäßig Versuche unternommen wurden, die Gesetze über die Strafbarkeit von Korruptionsdelikten wieder zu ändern, wobei die wichtigsten staatlichen und juristischen Organe vielfach nicht konsultiert wurden”, heißt es im Fortschrittsbericht, der wenige Tage vor der Verabschiedung der ominösen Eilverordnung 13 vorgelegt wurde. Einige Seiten weiter führen die Experten der Kommission weiter an: „Gesetzesänderungen mit dem Ziel, den Straftatbestand der Korruption einzuschränken oder zu schwächen oder die Unabhängigkeit oder die Befugnisse der DNA zu beschneiden, würden selbstverständlich eine erneute Bewertung der erzielten Fortschritte erforderlich machen” – und in Fußnoten wird vermerkt, dass die „von der Regierung zur Konsultation im Entwurf vorgelegten Dringlichkeitsanordnungen den korruptionsrelevanten Rechtsrahmen und die Ergebnisse der Korruptionsbekämpfung beeinträchtigen könnten”.
Und in einem Arbeitspapier zum Europäischen Semester heißt es des Weiteren, dass „Korruption auf allen Ebenen besteht und ein Hindernis für Geschäftstätigkeiten bleibt” sowie dass die „Unwiderrufbarkeit der Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung neulich bedroht wurde”.
Darüber hinaus hielt sich der erste stellvertretende Kommissionspräsident Frans Timmermans mit der scharfen Kritik nicht zurück. Bei einer Debatte im Europäischen Parlament zur Lage in Rumänien warnte er, dass das Inkrafttreten der Eilverordnung den Zugriff Rumäniens auf EU-Mittel beeinträchtigen könnte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte mit Präsident Klaus Johannis, der die Absichten der Regierung in aller Deutlichkeit verurteilt hatte. Sie versicherte den rumänischen Staatschef ihrer vollen Unterstützung bei der konsequenten Fortsetzung des Antikorruptionskurses und sagte, eine Aufweichung der Korruptionsbekämpfung und Relativierungen des Rechtsstaats und der Reformpolitik wären ein völlig falsches Signal. Die deutsche Botschaft in Bukarest veröffentlichte auf ihrer Webseite eine Mitteilung, die sie gemeinsam mit anderen fünf diplomatischen Vertretungen (Belgiens, Hollands, Frankreichs, Kanadas und der USA) tief besorgt formuliert hatte: Die Regierung habe die Fortschritte Rumäniens über die Rechtsstaatlichkeit und die Bekämpfung der Korruption in den letzten zehn Jahren untergraben, was der rumänischen Stellung in der internationalen Gemeinschaft nur schaden könnte.
Und auch die österreichische Botschaft reagierte: Rumänien habe in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte bei der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit sowie der Unabhängigkeit des Justizsystems erzielt; gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit seien unter anderem die wichtigsten Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung. Die am 31. Januar verabschiedete Eilverordnung könnte die Gesetzgebung zur Bekämpfung der Korruption ernsthaft schwächen und damit die erzielten Fortschritte gefährden.
Anders als bei bisherigen Krisensituationen, spielte die Wirtschaft diesmal eine größere Rolle. Medien auf der Seite der Regierung warfen beispielsweise den multinationalen Konzernen vor, ihre Beschäftigten zur Teilnahme an den Protesten in Bukarest und den anderen großen Städten anzustiften – sie dazu geradezu zu zwingen. Der Chef des parlamentarischen Ausschusses zur Kontrolle des Inlandsgeheimdienstes SRI, Adrian ?u?uianu, regte an, dass der SRI solche Vorwürfe prüfen sollte: Es gehe schließlich um die Landessicherheit.
Die Eilverordnung wurde von den Finanzmärkten mit unguten Gefühlen aufgenommen. Der Kurs stürzte zeitweilig um ein Prozent ab – die stärkste Abwertung der letzten zwei Jahre, Renditen für Staatsschulden in beiderseits Euro und RON stiegen um rund 10 Prozent gegenüber dem Jahresende. Das Finanzministerium sah sich während der Krise außerstande, Staatsanleihen zu verkaufen. Aus der Wirtschaft kam auch die erste Bresche in der Solidarität der Regierung: Mittelstandsminister Florin Jianu, seinerseits Unternehmer, trat wenige Tage nach Verabschiedung der Eilverordnung zurück. Und Standard&Poor’s Global Ratings warnte laut Bloomberg, dass das Vertrauen der Investoren unter der Krise leiden und das Wachstum gefährden könnte.
Die Vertreter der Wirtschaft meldeten sich diesmal mit überraschender Klarheit zu Wort: Die Stiftung Romanian Business Leaders (RBL) beschuldigte die Regierung, den Diebstahl aus öffentlichen Mitteln zu legalisieren. Zum ersten Mal seit der Wende werde gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz in aller Öffentlichkeit, Vollständigkeit und Unmissverständlichkeit verstoßen, so eine Verlautbarung von RBL.
Auch der Rat der ausländischen Investoren, der 130 Unternehmen mit Investitionen von 40 Milliarden Euro in die rumänische Wirtschaft vertritt, kritisierte den Vorstoß der Regierung: Die Art und Weise, in der die Entscheidungen getroffen wurde, könnte ein negatives Signal für Investoren und internationale Geldgeber darstellen; Rumänien könnte so die Chance verpassen, neue Investitionen heranzuziehen. Die Vertrauensbasis wieder herzustellen, würde viel Zeit und Anstrengung kosten, so der Foreign Investors Council.
Die Deutsch-Rumänische Industrie- und Handelskammer (AHK Rumänien) meldete sich ebenfalls prompt zu Wort: Es stehe zu befürchten, dass die Änderungen am Strafgesetzbuch negative Auswirkungen auf die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen haben werden, besagte eine Mitteilung der offiziellen Vertretung der deutschen Wirtschaft in Bukarest, die mit 570 Mitgliedsunternehmen zugleich die größte bilaterale Handelskammer in Rumänien ist. Die deutsche Wirtschaft in Rumänien sehe dadurch den Willen der neu gewählten Regierung in Frage gestellt, den Kampf gegen Korruption kompromisslos fortsetzen zu wollen. Eine Einschränkung der rechtsstaatlichen Prinzipien und die Gefahr einer wieder auflebenden Korruption würden eindeutig negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes haben. Die „nun eingeschlagene Entwicklung führe zu einer starken Verunsicherung unter deutschen Investoren” und könne „die engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Rumänien nachteilig beeinflussen”. Rumänien riskiere zudem, seinen im letzten Jahr erarbeiteten Imagegewinn wieder zu verlieren. Das sei umso bedauerlicher, da Rumänien auf diese Weise – insbesondere mit Blick auf das aktuelle schwierige weltpolitische Umfeld – seine vielversprechende Position als stabiler und vertrauensvoller Wirtschaftsstandort schwächt, so die Verlautbarung der AHK.
Dass angesichts einer so breiten Front des Widerstands die Regierung einen Rückzieher machte, muss nicht wundern.
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