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Belagerte Burgen

Von Washington bis Beijing, von London bis Warschau, von Moskau bis Ankara: fast überall auf der Welt weht ein Wind des Isolationismus. Anführer mehr oder weniger mächtiger Nationen beschreiben in groben Zügen eine düstere Landschaft, in der ihre Länder beneidet, aus allen Richtungen angegriffen, über den Tisch gezogen werden.

Zynischere Beobachter der Politik berufen sich oft darauf, dass die jeweiligen Anführer nicht einmal selbst glauben, was sie predigen und dass solche Reden nur dazu dienen, Aufmerksamkeit zu gewinnen. Politiker, so behaupten es diese Beobachter, wollen Kapital herausschlagen aus Ängsten, die in latentem Zustand in jeder Gesellschaft vorhanden sind. In der Tat werden Wahlkämpfe selten an der Front der Vernunft gewonnen und viel öfter an jener der Gefühle – und Angst ist einer der wirksamsten Wahlkampfmagneten aus dem Arsenal der Gefühle. Und selbst dort, wo Wahlen im politischen Machtgefüge weniger relevant sind – Russland oder China – ist die Angst vor echten oder vermeintlichen Feinden ein ausgezeichnetes Bindemittel der Gesellschaft.

Doch ein Syndrom der belagerten Burg zu herbeizuführen, ist keine reine, harmlose Wahlkampftaktik. Selbst wenn sie nur auf Vorstellungen und nicht auf realen Grundlagen basiert, erschafft die Angst ihre eigene Wirklichkeit. Die Fachliteratur in Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie oder Management steckt voller Modelle von selbsterfüllenden Prophezeiungen oder Rückkopplungsschleifen. Oder, für Anhänger weniger anspruchsvoller Ausdrücke, von Teufelskreisen.

Solche Mechanismen funktionieren selbstverständlich auch auf der Makro-Ebene von Staaten und Volkswirtschaften. Wenn (in einem vereinfachenden Beispiel) Premierminister Viktor Orban sagt, dass Ungarn vom dekadenten Westen belagert wird und die freiheitliche Demokratie angreift, um sich zu wehren, bleibt besagtem Westen nichts anderes übrige, als Ungarn zu kritisieren – was wiederum Orbans Eingangsthese bestätigt.

Hält die belagerte Burg einen riesigen Anteil am Weltwirtschaftssystem, sind die Auswirkungen einer solchen Dynamik dramatisch. Neuerdings zwingt US-Präsident Trump Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte und argumentiert, dass sein Land systematisch im Welthandel mit diesen Rohstoffen abgezockt wird, dass es also ein Opfer ist in einem wahren Handelskrieg. Von Krieg kann kaum die Rede sei, obwohl nach Trumps Mentalität jede Verhandlung in Konfliktoptik betrachtet werden muss. Handelsverträge sind komplizierte Systeme, durch die Parteien auf ein allgemeines Gleichgewicht abzielen und nicht darauf, sich in jeder Teilkomponente durchzusetzen.

Dadurch, dass er sich die Rosinen aus dem Kuchen herauspickt und nur diejenigen Aspekte thematisiert, wo er die USA als benachteiligt sieht, riskiert Trump gerade die Prozesse zu veranlassen, denen sein Land seiner Ansicht nach zum Opfer fällt. Nur wird aus einem solchen Handelskrieg, zehn Jahre nach der letzten globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, niemand als Sieger herausgehen. Oder eventuell nur diejenigen, die sich im Gefühl der belagerten Burg bestätigt sehen.

von Alex Gröblacher

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