
III. Wie mir Selbstbeobachtung zu mehr innerer Freiheit verhilft
In den letzten beiden Beiträgen ging es um Lebensszenarien und Glaubenssätze; Sie haben vielleicht gemerkt, wieviel von dem, was Sie denken und tun, auf derartige Fixierungen beruhen, die letztlich die Wirklichkeit konstruieren, so wie Sie sie wahrnehmen. Ein wichtiger Baustein bei der persönlichen Meisterschaft, vielleicht sogar der wichtigste, ist die Selbstbeobachtung. Diese scheinbar simple Tätigkeit haben wir eigentlich verlernt, da sich unser Ego immer gleich mit Wertungen, Interpretationen, Konzepten oder Urteilen dazwischen schiebt. Gerade wir Deutschen sind Weltmeister im Analysieren, Hinterfragen, differenziertem Betrachten. Dabei geht es bei der Selbstbeobachtung eigentlich nur um eins: das, was ist, oder gerade passiert, einfach bewusst zuzulassen, zu erleben. Der große Vorteil einer gut entwickelten Selbstbeobachtung ist ganz einfach der, zu sich selbst, seinen Gedanken und Gefühlen ein wenig Distanz zu schaffen, oder anders gesagt, sich nicht mehr so leicht mit selbstgeschaffenen Dramen und Glaubenssystemen zu identifizieren oder deren Opfer zu werden.
Nehmen wir mal ein Beispiel: Sie sind wütend, weil einer Ihrer Kollegen eine Aufgabe nicht, wie vereinbart erledigt hat. Handeln wir normalerweise aus dem unmittelbaren Gefühl heraus, was meistens keine gute Lösung ist, können wir durch geschulte Selbstbeobachtung die Situation besser managen: Statt zu sagen: „ich bin wütend“, würden wir jetzt sagen: „etwas in mir ist wütend“. Das ist nicht nur ein sprachlicher sondern ein gewaltiger energetischer Unterschied. Ich erkenne im zweiten Fall mehr Wahlmöglichkeiten, ich kann verschieden reagieren, mich besser an die Situation anpassen, ohne das Gefühl einfach rauszulassen, oder unbewusst meine eigenen Muster zu bedienen.
Schauen wir uns eine dritte, tiefere Ebene des Beobachtens an, die man vielleicht mit folgenden Worten ausdrücken könnte: „Interessant, dass ich immer noch dieses Gefühl der Wut habe, wenn andere nicht das tun, was ich will“. Auf dieser Ebene angelangt, können Sie sich praktisch wie Ihr eigener Detektiv auf die Suche nach den Mustern begeben, die Ihrer Wut zugrunde liegen. Sie werden erstaunt sein, wie oft derartige Gefühle auf frühe Kindheitserfahrungen zurückgehen können, oder einfach nur Ihren eigenen Frust im Job oder in Ihrem Leben widerspiegeln, den Sie nicht anerkennen wollen.
Wenn Sie der Einsicht etwas abgewinnen können, das uns im Leben immer genau das gespiegelt wird, was wir noch lernen können und wir genau diejenigen Personen zugespielt bekommen, sei es im Büro der in der Beziehung, die uns auf unserem Weg der Selbsterkenntnis und des Bewusstwerdens weiterbringen, dann wird Ihnen das Arbeiten auf dieser dritten Ebene leichter fallen.
Ob Sie sich dessen bewusst sind oder nicht, wir haben ihn alle, den inneren stillen Beobachter, der immer da ist. Wir finden diesen Anker in vielen Religionen wieder, er ist wichtiger Bestandteil der Selbsterforschung. Der innere Beobachter ist wie ein Unbeteiligter, der es uns ermöglicht, völlig präsent zu sein und gleichzeitig mehr über uns zu erfahren, wer wir wirklich sind. Je mehr wir darin geübt sind, diesen Beobachter wirklich wahrzunehmen, immer mehr diese Rolle auszufüllen, desto mehr Ruhe entsteht in uns. Je mehr Sie lernen, sich selbst zu beobachten oder sogar detektivisch bei sich tätig zu sein, desto mehr werden Sie erkennen, dass es sich bei dem Beobachter um einen liebenden Beobachter handelt, der unserem Handeln sehr viel Mitgefühl entgegen bringt. Alles, was in uns hochsteigt, wird liebevoll und ohne Wertungen wie: „ Ich Trottel, ich bin zu blöd“, oder „Idioten, die mach ich platt“ angenommen. In allem, was auf diese Weise beobachtet wird, liegen Schlüssel zur persönlichen Weiterentwicklung.
Wir können vieles beobachten, unsere Gefühle, unsere Neigungen oder Abneigungen, unsere Muster, unseren Körper und dazugehörige Körperempfindungen, das Schauspiel auf unseren Lebensbühnen, etc. Das wichtigste, was es zu beobachten gibt, sind wohl unsere Gedanken, die täglich einen großen Anteil an Zeit und Energie in Anspruch nehmen. Studien haben ermittelt, das wir 50.000 und mehr Gedanken pro Tag haben, davon sind 70% negativ oder redundant. Überlegen Sie mal, was das bedeutet; den Großteil unserer Zeit verbringen wir mit negativen Gedanken! Wenn Sie jetzt einmal eine andere Erkenntnis hinzunehmen, dass jeder Gedanke eine gewisses Quantum an Energie darstellt, können Sie sich selbst ausmalen, wieviel wichtige Lebensenergie verschwendet wird. Negative Gedanken sind der größte Energievampir, den man sich vorstellen kann. Wie hilft mir nun mein Beobachter?
Hierzu eine kurze Übung:
Schließen Sie einmal kurz die Augen. Atmen Sie mehrfach tief durch. Mit jedem Atemzug entspannen Sie sich mehr. Schauen Sie sich nun einfach mal an, was Ihr Verstand gerade so alles in die Welt setzt, schauen Sie sich Ihren eigenen Film an! Welche Gedanken tauchen auf? Urteilen Sie nicht, versuchen Sie nichts an dem Gedankenfluss zu verändern. Lassen Sie die Gedanken einfach hochkommen, so wie sie kommen und auch wieder gehen. Lassen Sie alles zu, es muss nichts getan, nichts zwanghaft analysiert oder eingeordnet werden. Stellen Sie sich vor, Ihre Gedanken sind nur Wolken, die an Ihnen vorüberziehen. Beobachten Sie Ihre Wolken einfach nur, wie sie vor Ihrem geistigen Auge vorbeiziehen. Halten Sie nicht an den Wolken fest, gehen Sie nicht in Geschichten hinein; bleiben Sie nur Beobachter.
Seien Sie bei dieser Übung nicht so streng mit sich selbst, es geht hier nicht um Leistung oder Erfolg. Wenn Sie in Ihre Gedanken abdriften, beobachten Sie auch dies wieder, werden Sie sich dessen bewusst und kehren zurück in die Position des Kinosessels. Wenn es gar nichts mehr geht, atmen Sie einfach mehrfach tief durch und setzen Sie erneut an. Wenn Sie diese Übung regelmäßig machen, werden Sie vielleicht einiges feststellen, dass Ihre Gedanken Sie nicht mehr so in ihren Bann nehmen, Sie konditionieren oder Ihnen Angst machen. Möglicherweise entdecken Sie immer wiederkehrende Muster, denen Sie weiter nachgehen wollen; vielleicht werden Sie auch feststellen, dass immer öfter Momente auftreten, in denen Sie gar nicht denken. Das ist der berühmte „no-mind state“, also ein Zustand, in dem wir nicht denken, sondern einfach nur bewusst sind und wahrnehmen, was gerade ist. Auf jeden Fall tritt mehr Ruhe ein und Sie erkennen durch die Distanz, die Sie innerlich schaffen, dass Ihr Verstand dauernd etwas produziert, Sie aber immer öfter selbst entscheiden können, welche Bedeutung Sie dieser Aktivität beimessen. Dies ist ein bedeutender Schritt in die wahre Unabhängigkeit. Es geht hier nicht um einen Kniff, mit besseren Argumenten schlauer zu sein als die Anderen, sondern um eine andere Form des Seins oder Bewusstwerdens, in dem der Verstand nur einen Teil darstellt. Je mehr Sie mit diesen neuen Zuständen experimentieren, umso öfter kann eine andere Kraft durchscheinen, nämlich die der intuitiven Weisheit, die jenseits des Verstandes liegt.
Beobachten kann man lernen und schulen, genau wie man seinen Verstand, sein Gehör, seinen Geruchtssinn oder seine Geschmacksnerven schulen und perfektionieren kann. Ein Weinexperte wird auch nicht von heute auf morgen Experte. Genauso ist es mit der Fähigkeit des nicht wertenden, liebevollen Beobachtens. Fangen Sie mit sich selbst an, bevor Sie andere beobachten. Seien Sie immer achtsam, ob Sie dabei wirklich nur beobachten oder schon wieder in Wertungen und Urteilen abdriften. Bleiben Sie dran, es lohnt sich. Sie werden sich verändern. Es wird Ihnen gut tun.
Michael.schroeder@linarson.com
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