Salesianer
Kremsmueller
CEO CLUBS-EXECUTIVE CLUB-OWNERS CLUB

Trostpreise für den Osten?

Viele Analysten hatten sich darauf eingestellt: die Europäische Kommission stellte in ihren Vorschlägen für den EU-Haushalt in der Tat auch einen umstrittenen Mechanismus für die Verknüpfung europäischer Geldmittel mit der Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit vor – eine wichtige Innovation.

Die Länder, die sich angesprochen fühlten, reagierten prompt: Ungarn klagte offen über eine Möglichkeit der Erpressung; Polen war etwas zurückhaltender und erklärte nur, dass es unverhältnismäßige Kürzungen bei den kohäsionspolitischen Mitteln nicht akzeptieren werde. Aus Rumänien war die ironische Antwort des Chefs der wichtigsten Regierungspartei zu hören: Liviu Dragnea sagte, dass die globale Erwärmung oder Abkühlung von diesem Problem abhingen.

Auf den ersten Blick konnte sich der westliche Kern der EU im Streit mit den östlichen Staaten durchsetzen. Beobachter sprechen von einer neuen West-Ost-Spaltung, in der die gegenseitige Wahrnehmung unvereinbar erscheint: vereinfacht und übertrieben dargestellt, sieht der Osten den Westen als einen Raum der liberalen Dekadenz, die er um jeden Preis dem als Kolonie betrachteten Osten aufzwingen will; umgekehrt sind die Länder des Ostens aus der Perspektive des Westens Lehnsgüter, dem Gutdünken korrupter Populisten ausgeliefert, die die Werte der Aufklärung aufgegeben haben.

Aber auch den östlichen Ländern gelingt es, sich vor dem Westen zu behaupten.

Seit einiger Zeit werfen die mittel-und osteuropäischen Länder den großen Lebensmittelkonzernen vor, die Verbraucher auf diesen Märkten als Bürger zweiter Klasse zu behandeln und unter denselben Labels Produkte zu verkaufen, die schlechter sind als die, die sie auf westlichen Märkten vertreiben. Der bulgarische Premierminister Bojko Borissow beklagte sogar eine „Lebensmittel-Apartheid”.

Es war Tschechien, die das Vorliegen doppelter Standards ernsthafter thematisierte, als es durch ein Papier ersuchte, diese Frage auf die Tagesordnung des Treffens der EU-Landwirtschaftsminister im Mai 2016 zu setzen. Die Tschechische Republik führte damals an, dass es in einigen EU-Ländern möglich sei, von den gleichen Herstellern und unter den gleichen Markennamen Produkte von niedrigeren Qualität und in vielen Fällen sogar teurer zu kaufen. Für eine bestimmte Verbrauchergruppe würden die Rohstoffe durch Zutaten schwächerer Qualität ersetzt, oder es wird weniger Material verwendet. Die tschechischen Verantwortlichen räumten zwar ein, dass die Lebensmittel richtig etikettiert waren – aber die Praxis würde auf der Ebene des gemeinsamen Marktes an der Irreführung der Verbraucher grenzen.

Deshalb wäre es notwendig, so das Dokument, nicht nur die Lebensmittelsicherheit und die faire Etikettierung, sondern auch die identische Qualität der einzelnen Produkte für alle Verbraucher auf dem EU-Markt zu gewährleisten, unabhängig von Region oder Land.

Zunächst reagierte die Europäische Kommission eher zögerlich – solange es nur um Qualitätsunterschiede ging, die von den Verbrauchern empfunden wurden, und nicht um Lebensmittelsicherheit, schien die Kommission keine Grundlage für einen Eingriff zu erkennen. Die Regeln erlaubten Unternehmen, Produkte mit unterschiedlichen Rezepten zu vermarkten, solange die Etikettierung richtig erfolgte.

Aber als die Slowakei im zweiten Teil des Jahres 2016 die turnusmäßige EU-Ratspräsidentschaft übernahm, legten ihre Vertreter einen noch stärkeren Schwerpunkt auf den doppelten Qualitätsstandard und setzten sich dafür ein, dass das Thema ernster genommen wird. Die Ergebnisse verschiedener vergleichender Analysen von Produkte in osteuropäischen Ländern und den gleichen Produkten aus westlichen Geschäften, wurden immer dichter veröffentlicht.

Im Februar 2017 testete die ungarische Behörde für Lebensmittelsicherheit Produkte, die in Ungarn und Österreich von internationalen Einzelhandelsketten verkauft wurden. Die Untersuchungen zeigten Unterschiede in der Konsistenz zwischen Produkten, die unter dem gleichen Markennamen vermarktet werden. In der Slowakei und in Bulgarien kamen die Tests zum gleichen Schluss. Auch in Rumänien wurden vergleichende Analysen durchgeführt: Vertreter der Behörde für Lebensmittelsicherheit und des Verbraucherschutzes erhielten 29 Lebensmittelproben aus Maastricht in den Niederlanden, Aachen in Deutschland und der belgischen Hauptstadt, Brüssel, darunter Fleischprodukte, Milcherzeugnisse, Fischkonserven und Schokolade. Vergleichende Analysen stellten bei 9 der 29 Proben Unterschiede in Bezug auf den Fett-und Proteingehalt sowie auf die Energiewerte.

Die Europäische Kommission konnte das Thema nicht mehr ignorieren. Im Gegenteil, es wurde auf höchster Ebene übernommen und von der höchsten Tribüne aus dargelegt: „Ich werde nicht akzeptieren, dass den Menschen in manchen Teilen Europas qualitativ schlechtere Lebensmittel verkauft werden als in anderen, obwohl Verpackung und Markenkennzeichnung identisch sind”, sagte Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, in seiner Rede zur Lage der Union am 13. September 2017 vor dem Europäischen Parlament.

Über den harten Ton hinaus beschränkte sich die Kommission auf einige eher formelle Handlungen: da es bereits klare Regeln zur Verhinderung der Irreführung von Verbrauchern gibt – beispielsweise die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – forderte die Kommission die Behörden für Verbraucherschutz auf, Erkenntnisse zu sammeln, die ein besseres Verständnis der Situation ermöglichen.

Die Kommission veröffentlichte dementsprechend eine Reihe von Orientierungshilfen zur Rechtslage in Sachen Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz, die für Produkte mit doppeltem Qualitätsstandard gelten. Anhand dieses Leitfadens können die nationalen Behörden feststellen, ob Unternehmen gegen EU-Bestimmungen verstoßen, wenn die Qualität der von ihnen verkauften Produkte je nach Land unterschiedlich ist. Obwohl diese Verantwortung bei den nationalen Behörden für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit liegt, hat sich die Europäische Kommission dennoch verpflichtet, sie zu unterstützen, und zusätzlich zu den Leitlinien arbeitet die Kommission an Methoden zur Verbesserung der Tests, sodass die Mitgliedstaaten dieses Thema auf einer soliden und gemeinsamen wissenschaftlichen Grundlage diskutieren können, die für alle gilt.

Zudem hat die Europäische Kommission einen Dialog mit den Erzeugern und ihren Verbänden eingeleitet, um sicherzustellen, dass ihre Mitglieder das höchste Niveau der Branchennormen einhalten, um die Entstehung von Problemen im Zusammenhang mit der doppelten Qualität von Lebensmitteln zu verhindern.

Dieser Ansatz – Dialog und relevantere Tests – wurde auch im Oktober 2017 in Bratislava auf einem Gipfeltreffen zum Thema der doppelten Qualitätsstandards angeregt. Die dort angenommene Erklärung enthält einen Appell an die Vertreter der Mitgliedstaaten, der Europäischen Genossenschaften, des Europäischen Parlaments, der Verbraucherverbände und der Produzenten, gemeinsam und in koordinierter Weise über das Qualitätsproblem zu diskutieren und Möglichkeiten zur Vermeidung unberechtigt diskriminierender Praktiken zu finden. Die Erklärung räumt ein, dass vorläufige Tests Unterschiede in der Zusammensetzung und den sensorischen Eigenschaften der Produkte gezeigt haben.

In Bratislava wurde zudem vereinbart, dass im Rahmen der Koordinierung der sogenannten Gemeinsamen Forschungsstelle (RC- Joint Research Centre) gemeinsame Prüfverfahren entwickelt werden sollten, sodass ein einheitliches Instrument geschaffen werden kann, um mutmaßliche Probleme zu erkennen und den nationalen Behörden greifbare Beweise für die Einführung einschlägiger Rechtsvorschriften in Bezug auf die Praxis doppelter Qualitätsstandards zu liefern. In Sofia kündigte Justizkommissarin Vera Jourova auf einer Konferenz unter der Ägide der bulgarischen Ratspräsidentschaft sogar an, dass die harmonisierten Testmethoden schon fertig seien.

Einige osteuropäische Länder wollen offenbar aber noch mehr Sicherheit im Umgang mit dem Problem differenzierter Standards. In einem Interview für die rumänische Version des Portals für europäische Nachrichten Euractiv sagte die europäische Abgeordnete Daciana Sârbu (PSD) deutlich, dass in der Europäischen Union eine Agentur für die Qualitätskontrolle von Lebensmittelprodukten notwendig sei. Und der rumänische Landwirtschaftsminister Petre Daea zeigte auf der Konferenz in Sofia auf, dass das Problem des Doppelstandards Norm durch einheitliche europäische Regeln gelöst werden kann, die die Definition der Doppelstandards, die Methodik zur Bestimmung und die rechtlichen Instrumente für den Umgang mit Abweichungen umfasst. „Das ist keine leichte Aufgabe aber wir müssen damit anfangen und Rumänien wird aktiv an ihrer Bewältigung teilnehmen”, betonte Daea.

Inwieweit diese Wünsche in Erfüllung gehen, wird sich in der nächsten Zeit herausstellen. Im April dieses Jahres legte die Kommission ein Paket von Legislativvorschlägen vor, einen sogenannten New Deal für die europäischen Verbraucher. Das Paket enthält auch eine Reform der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: eine ausdrückliche Vorschrift gibt den nationalen Behörden die Befugnis zu prüfen und zu handeln, wenn durch irreführende Geschäftspraktiken Produkte in mehreren Mitgliedstaaten als identisch vermarktet werden, sofern sich ihre Zusammensetzung oder ihre Merkmale erheblich unterscheiden.

Auch die Hersteller durften mitreden: in Bratislava begrüßte die Chefin der FoodDrinkEurope Arbeitgeberorganisation, Melly Frewen, die Aufrufe zum offenen Dialog und verdeutlichte die Bereitschaft der Erzeuger zur Kooperation mit der JRC und die Unterstützung des Zentrums bei der Entwicklung harmonisierter Prüfverfahren.

Unmittelbar nach der Rede von Jean-Claude Juncker vom September 2017, hatte FoodDrinkEurope noch erklärt, dass Unterschiede in der Zusammensetzung der Produkte nicht mit doppelter oder minderwertiger Qualität gleichzusetzen sei – Unternehmen berücksichtigten einfach die Unterschiede des Geschmacks, die Verfügbarkeit und die Vorliebe für Zutaten lokaler Herkunft. In den meisten Fällen gebe es Unterschiede in den Rezepturen zwischen den Ländern, nicht speziell zwischen den westlichen EU-Staaten und denen im Osten des Kontinents, gerade um diesen Präferenzen Rechnung zu tragen.

Dieses letzte Argument scheint die osteuropäischen Politiker wenig zu überzeugen. In Bulgarien demonstrierten zwei Versuchsreihen Unterschiede zwischen den Produkten, und die Behörden fanden heraus, dass die in Bulgarien verkaufte Milch für Kinder mehr Palmöl und weniger Milch enthält als das äquivalente Produkt, das im Westen verkauft wird. Auf der Sitzung in Sofia rief der wortschnelle Chef der bulgarischen Regierung, Bojko Borissow deshalb sarkastisch aus: „Welches Genie hat denn entschieden, was Babys in Bulgarien lieben?”

von Alex Gröblacher

Share

Share

Top